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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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nach allem, was sie für ihn getan hatte? So dachte er, so hatte ihn seine obāsan erzogen. Jetzt aber, nachdem er im Dunkeln gegrübelt hatte und die Eifersucht des Liebhabers in ihm fraß, dachte er anders. Er gab einen Dreck auf ihre Privatsphäre. Er setzte sich hin, stöberte in den Seiten und begann zu lesen:
    Er war ein Japaner in der vollen Blüte des japanischen Mannestums, fest und unnachgiebig. In den frühen Morgenstunden kam er vom Büro nach Hause und zerrte an ihrem Kimono. Die Kinder schliefen, die Sony-Anlage war stumm, die winzige Wohnung blitzblank wie ein Messer. Schon bei seiner ersten Berührung wurde Michiko feucht. Sein Atem roch nach Whiskey, nach dem importierten Whiskey, den er jeden Abend in der Animierbar trank, und dieser Geruch erregte sie. Sie liebte sein Vollmondgesicht und die stolze harte Rundung seines Bauchs, der sich gegen den ihren presste, und sie liebte seine Zähne, seine Zähne vor allem. Sie standen durcheinander wie Freud und Leid, der Weg zu seinem Lächeln war so gewunden wie ein mühsamer Pfad hinauf auf den Fudschijama.
    Er drang in sie ein, und ihren Lippen entrang sich ein Schrei. »Hiro«, stöhnte sie und klammerte sich an ihn, hielt sich an ihm fest wie eine Ertrinkende. »Hiro, Hiro, Hiro!«
    Hiro sah von der Seite auf. Das Zimmer kam ihm auf einmal fremd vor, wie ein Käfig, dessen Wände ihn bedrängten, und das Lampenlicht fesselte seine Handgelenke. Er hatte nicht den Mut weiterzulesen.
    »Wann?«, verlangte er zu wissen.
    Sie packte Lebensmittel aus, genug Essen für eine ganze Armee, genug, um eine Belagerung zu überstehen und um ein Tier mindestens einen Monat lang gut im Futter zu halten. »Ich hab’s dir doch gesagt, Sax hat nur einen Pritschenwagen. Aber um dich zu verstecken, brauch ich ein Auto mit Kofferraum.« Ihre Ellenbogen hüpften; auf dem Tisch stapelten sich die Dosen. »Der Wagen seiner Mutter wäre ideal. Nur brauche ich irgendeine Ausrede, um ihn mir auszuleihen.«
    »Du mich hinhältst, Rusu. Du mich willst hierbehalten. Du mich willst machen zu deinem Gefangenen.«
    Das Licht, das Dschungellicht, fing sich in ihrem Haar, ließ ihre Augen blitzen. Sie stöberte in ihrem Rucksack nach einer weiteren Fischdose. »Wärst du denn lieber da draußen?«
    »Wann, Rusu?«, wiederholte er.
    Sie schüttelte prüfend den Rucksack und wandte sich zu Hiro um. »Ich will dich nicht gegen deinen Willen hier behalten – wirklich, Hiro, das will ich nicht. Denk doch mal, was für ein Risiko ich eingehe, wenn ich dich hier verstecke. Ich hab dich gern, ehrlich. Ich möchte dich gern hier wegbringen … nur eben – es ist gar nicht so leicht, das ist alles. Du willst doch nicht, dass sie dich erwischen, oder?«
    Er stand vor ihr, die Hände in die Hüften gestützt. Er gab keine Antwort.
    »Sie hat einen alten Mercedes mit einem Kofferraum so groß wie der Grand Canyon. Der wäre ideal.« Sie entblößte ihr vollkommenes rosa Zahnfleisch und strahlte ihn aus unschuldigen Augen an, und plötzlich verließ ihn aller Kampfgeist.
    »Okay«, sagte er und senkte den Blick. »Bald, ja?«
    »Bald«, antwortete sie.
    Und dann, zwei Nächte später, kam sie die Stufen heraufgewankt, beladen mit weiteren Lebensmitteldosen, und er bemerkte sofort ihr rätselhaftes, dünnes Lächeln. »Ich hab eine Überraschung für dich«, keuchte sie, stapfte quer durch den Raum und ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen, wo sie den Rucksack ablegte. Sie warf die Brust nach vorn, machte sich in den Schultern schmal und streifte die Tragriemen ab. Er konnte sie riechen, ihren schweren, dunklen Duft, Parfum vermischt mit Schweiß.
    »Überraschung?« Er kam näher und sah zu, wie ihre Hände an der Schnur des Rucksacks nestelten. Er erwartete eine Süßigkeit – ein Stück Kuchen oder einen Mars-Riegel vielleicht; sie wusste, dass er furchtbar gern Mars aß –, doch sie zog nur eine weitere Dose Makrelen in Sojasauce und ein Zellophantütchen mit getrockneten Wurzeln aus der Tiefe des Gepäckstücks. Sein Gesicht wurde länger. Wie sie auf die Idee verfallen war, dass ihm das hier – dieses Zeug – schmeckte, war ihm ein Rätsel. Getrocknete Fischköpfe, in Plastik eingeschweißte Rindenschnipsel, dünne schwarze Pilze wie abgestreifte Hautfetzen, Dose um Dose mit Bambussprossen – was glaubte sie denn, wer er war, irgendein barfüßiger Hinterwäldler aus Tohoku oder so? Getrocknete Fischköpfe? Er hätte praktisch alles andere lieber gehabt – Chef-Boyardee-Dosenmenüs,

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