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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Schlaf sank. Es war genau die Sorte von Detail, die die Butterstinker übersehen würden.
    Er erwachte von grellem Licht und einem plötzlichen Hitzeschwall, sengend wie die Luft aus einem Hochofen. Er hatte fest und traumlos geschlafen, und sie überrumpelten ihn, der Große mit den Rattenaugen und sein kleinwüchsiger Begleiter. Es musste Spätnachmittag sein, die Schatten in der Scheune, in der die Zelle lag, waren schon länger, einen Moment lang, als die Tür aufging, sah Hiro sattes, elektrisierendes Grün und die pferdewagengroße, weit offene Einfahrt der Scheune. Er setzte sich auf. Seine Kleider waren schweißdurchnässt, seine Kehle ausgedörrt. »Wasser«, krächzte er.
    Der Große schloss die Tür, und das Tageslicht war ausgesperrt. Der Kleine lachte. Er trug etwas in der Hand – einen Kassettenrekorder, wie Hiro jetzt erkannte, ein japanisches Modell, groß wie ein Koffer –, und er ging um Hiro herum und stellte das Gerät neben sich auf die Holzbank. Das Lächeln des kleinen Mannes hatte sich verändert – es war ein grausames Lächeln, unstet und nicht mehr versonnen. Wollten sie ein falsches Geständnis aus ihm herauspressen, so wie das bei der Polizei in Japan üblich war? Wollten sie das Verhör aufnehmen und die Schläge, Schreie und Bitten um Gnade später herausschneiden? Hiro rückte ein Stück von dem Ding ab. Dann aber spannte der kleine Kerl seine Nacken- und Schultermuskeln an, drückte einen Knopf auf der Oberseite des Geräts, und im selben Moment war die Zelle von Musik erfüllt, von Disco-Musik. Hiro kannte den Song. Es war –
    »Donna Summer«, sagte der Kleine und grinste ihn an. »Gefällt dir, was?«
    Diesmal schien das Verhör tagelang zu dauern, aber später wurde Hiro bewusst, dass es in Wirklichkeit wohl nur zwei Stunden gewesen waren. Sie stellten dieselben Fragen wie beim ersten Mal, wieder und wieder. Fragen über seine politische Einstellung, über Honda, Sony und Nissan, über Ruth und Ambly Wooster, den alten Neger und den Unfall in dessen Hütte. Dabei dröhnte ihm die ganze Zeit über der Disco-Rhythmus im Kopf, und seine Stimme zwängte sich kratzend durch den verdorrten Kloß in seiner Kehle. Sie versprachen Wasser als Gegenleistung: Spielte er mit, würde er dafür belohnt – wenn nicht, würden sie ihn verdursten lassen, ohne einen Finger zu rühren. Er spielte mit. Er erzählte ihnen, wieder und immer wieder, von Chiba und Unagi, von Ruth und den Mittagessen und alles andere, was er ihnen schon hundert mal erzählt hatte, nur dass er es diesmal zur Begleitung von Donna Summer und Michael Jackson erzählte. Dann und wann sagte er etwas, was der Kleine interessant fand, und dann unterbrach ihn dieser, um den Großen anzusehen und zu sagen: »Na? Was hab ich gesagt? Die biedersten Typen auf der ganzen Welt.« Schließlich ließen sie ihm einen Tupperware-Becher mit warmem Wasser und eine weitere Tüte von HARDEE’S zurück, diesmal war sie bis zum fettbespritzten Rand mit kalten, schmalzigen Kartoffelscheiben und zwei geometrisch perfekt geformten Hamburgern gefüllt.
    Hiro zwang sich zum Essen. Und er trank auch das Wasser aus, bis auf den letzten Tropfen. Er wusste ja nicht, wann – und ob – er einen nächsten Schluck bekommen würde. Draußen vor der Tür standen zwei Hilfssheriffs – er hatte sie kurz gesehen, als seine Inquisitoren die Zelle betreten und wieder verlassen hatten. Er hörte die leise geraunten Unterhaltungen, roch die Tabakschwaden. Zwanzig Minuten. Er würde ihnen zwanzig Minuten geben für ihre Würstchen und Salzgurken und Eiscremeportionen mit Karamellgeschmack, zwanzig Minuten, sich mit Gin und Whiskey und Bier zu betäuben. Dann würde er seine Flucht versuchen.
    Er zählte jede einzelne dieser nicht enden wollenden Minuten, Sekunde um Sekunde – einundzwanzig, zweiundzwanzig, drei- und- –, dabei hörte er das leise, aber unverkennbare Zischen der Bierdosen, dann wehte der Geruch nach heißem Fett und schließlich wieder Tabakrauch herein, und irgendwann hörte das Stimmengemurmel langsam auf. Der Zeitpunkt war gekommen. Der Zeitpunkt zum Handeln. Der Punkt, an dem ein Mann der Tat sich innerhalb von sieben Atemzügen entscheiden muss. Hiro brauchte nur einen einzigen. Er hechtete die Wand empor, kletterte die glatten Steine hinauf wie eine Eidechse, entfernte die lockeren Stäbe und quetschte sich in die Nachbarzelle. Zuerst mit dem Kopf, dann folgten Schultern, Oberkörper und das rechte Bein, bis er sich behutsam drehen

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