Der Samurai von Savannah
schlaksiges Vieh vom Typ Schäferhund, das aussah wie aus Ersatzteilen zusammengebaut. In diesem Moment beendete das Tier sein Geschäft, und in seinen Augen sah Hiro so etwas wie Wiedererkennen aufblitzen, während es auf ihn zutrottete und sich ein Bellen – ein leises, großväterliches Bellen – seiner Kehle entrang. Hiro stand da wie angewurzelt, als ob er aus dem Boden wüchse, wie ein Strauch, regungslos und ohne Hoffnung. Das Bellen würde zu einem nicht enden wollenden Kläffen werden, zu einem improvisierten gebellten Riff, gefolgt von gebleckten Zähnen, schaurigem Geheul und den wütenden Rufen, wenn sie ihn entdeckten, und kontrapunktisch dazu würde das Klirren von Handschellen ertönen. War es aus? War alles vorbei?
Das wäre möglich gewesen, hätten nicht die Nervenenden in seinen Fingerspitzen eine rasche taktile Botschaft an Hiros Hirn gesendet: Er hielt ja eine halb abgekaute Hühnerkeule in der Hand. Fleisch. Hühnerfleisch. Saftig und unwiderstehlich. Und was fraßen Hunde? Hunde fraßen Fleisch. »Komm, mein Kleiner«, flüsterte er und machte ein schmatzendes Geräusch, »braver Junge«, und dann schob er die fettige Hühnerkeule in das sofort verstummende Maul. Doch noch während sich der Hund gierig und voll beschäftigt von ihm abwendete, hörte Hiro schallendes Gelächter, und als er aufblickte, sah er drei hakujin – zwei Männer und eine Frau – aus eben jenem Wald auf die Wiese heraustreten, in den er zu verschwinden gehofft hatte. Sie waren in weißem Tennisdress und trugen Schläger in der Hand, und sie hatten ihn noch nicht entdeckt – jedenfalls machte es nicht den Eindruck, denn sie waren vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die Frau knuffte gerade die beiden Männer in die Schultern, wobei sie einen vulgären Juchzer ausstieß, und alle drei krümmten sich krampfhaft vor Lachen.
Obwohl er sich in diesem Moment die Worte Jōchōs ins Gedächtnis rief – Ein wahrer Samurai darf sich nie den Anschein von Mutlosigkeit oder Verzweiflung geben –, stand Hiro am Rande von Panik, geistiger Zerrüttung und körperlichem Kollaps. Er konnte sich nicht rühren. Er war in einem bösen Traum gefangen, völlig machtlos, seine Glieder schienen so unnütz wie die eines Querschnittgelähmten, und sie kamen genau auf ihn zu, sie kamen, um ihn zu verschlingen und seine Knochen zu brechen. Sein Blick huschte in alle Himmelsrichtungen. Da war der Hund, der sich fröhlich mit seinem Hühnerbein vergnügte, da war der Erlösung versprechende Waldrand – und da, mitten zwischen ihm und seinem Ziel tauchten diese Tennisspieler auf, die jeden Augenblick aufsehen und Schreie des Entsetzens und der Bestürzung ausstoßen mussten. Was tun? Er hatte keine Ahnung. Bewegte er sich, war er tot. Blieb er still stehen, völlig still, war er genauso tot. Da wurde ihm die Entscheidung auf einmal abgenommen. Zwei stämmige Frauen mit Häubchen und in zeltartigen Sommerkleidern bogen weiter hinten um die Ecke der Scheune und brüllten sofort schallend los. »Wenn das nicht McEnroe und Jimmy Connors sind!«, grölte die eine in Richtung der Tennisspieler. »Und Chrissie Evert ist ja auch dabei«, fügte die größere mit durchdringend schriller Stimme hinzu.
Das war’s. Hiro reichte es. Blitzschnell setzte er sich in Bewegung, senkte den Kopf, kehrte ihnen den Rücken zu und marschierte zielbewusst und entschlossen los, als gehörte er hierher wie jeder andere Künstler, der auf dem Gelände spazieren ging. Direkt vor ihm lag der asphaltierte Parkplatz, auf dem Autos standen, umgeben von Büschen und Bäumen und Blumen in gepflegten Beeten, und ein Stück dahinter erhob sich das große Haus. Dies war nicht die Richtung, in die er eigentlich hatte gehen wollen. »Patsy!«, rief eine Frauenstimme hinter ihm aus und: »Clara!« Dann bemerkte einer der Männer: »Wodka und Gin!« Danach folgte allgemeines Gejohle und ein Ausbruch von laszivem Gelächter.
»Wir gehen selber gerade rüber!«
»Kommt ihr mit uns mit?«
»Mit euch mit? Wir zeigen euch den Weg – oder noch besser: Wir rennen euch voraus!«
Lachen und noch mehr Lachen.
»Wer als Letzter da ist« – außer Atem –, »ist ein fauler Sack!«
Hiro ging einfach weiter, der Hund, die Frauen und das Tennistrio blieben allmählich hinter ihm zurück, dennoch war er sicher, dass jeden Augenblick lautes Geschrei und Gezeter rings um ihn ausbrechen würde. Direkt vor ihm wand sich die Auffahrt zwischen den Bäumen, und ein riesiger Forsythienstrauch
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