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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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konnte, um auf der anderen Seite auf die Bank hinunterzuspringen. Sein Blut rauschte. Er handelte, er hatte die Initiative, die Macht über das eigene Schicksal zurückgewonnen – und die Tür? Seine Finger lagen auf der rostigen Klinke, der Daumen ertastete die metallene Rundung – dies war der Augenblick der Wahrheit, von dem alles weitere abhing. Er drückte, sie ging auf. Ha!
    Rostige Angeln. Einen Spalt weit. Ein Blick. Dort, auf einem nach hinten gekippten Stuhl, der an der Tür der Nachbarzelle lehnte, saß ein Hilfssheriff, rotes hakujin -Gesicht, weizenfarbener Schnurrbart, spitze Nase und aufgesprungene Lippen. Sein Kopf war zurückgeworfen, eine Zigarette verqualmte in seinen Fingern, neben ihm lagen die Bierdose und eine fettige Papiertüte, und seine Atemzüge gingen tief und regelmäßig, ganz ruhig, die Luft fing sich tief unten im Rachenraum und wurde mit kaum hörbarem Rasseln wieder ausgestoßen. Ja, dieser Idiot von Langnase war tatsächlich eingeschlafen!
    Hiro hätte fast einen Luftsprung gemacht, als ihm das klar wurde: eingeschlafen! Doch er beherrschte sich – Disziplin, Disziplin – und huschte durch die Tür hinaus wie ein Schatten, ein Ninja, der lautloseste Mörder, der je auf zwei Füßen geschlichen war. Aber was war mit dem zweiten Wächter? Wo steckte er? Er war nirgends zu sehen. Leise, ganz leise. Die geröteten Wangen, der feuerrote Nasenzinken, das Pfeifen in der Luftröhre und das schnaubende Ausatmen – Hiro konnte nicht widerstehen. Er beugte sich über den schlafenden Hilfssheriff und nahm ihm die Zigarette aus den Fingern, was er als Vorsichtsmaßnahme rechtfertigte: Nur ein paar Minuten noch, und der Narr hätte sich verbrannt und wäre aufgewacht. Aber das Hähnchen – es war Hähnchen, paniert und gebacken, mit Flügeln, Keulen und Unterschenkeln –, das Hähnchen war eine andere Sache. Total lässig – so lässig wie Yojimbo, wenn er sich am Kimono zupfte, oder Dirty Harry, wenn er über sein Stoppelkinn strich – beugte sich Hiro vor und stibitzte eine Hühnerkeule aus der Tüte. Er kostete das saftige Fleisch, während er die Wand entlangschlich und nach einer Tür suchte, die ihn in den Hof hinausbringen würde.
    Und die Scheune? Düster und geräumig war sie, mit Balken und Querträgern, es stank nach Urin, Schimmelpilz, Ausscheidungen von Tieren, die vor hundert Jahren gestorben waren. Er ging nach links, weg von dem Wächter, und näherte sich dem hohen Doppeltor der Scheune, wobei er sich dicht an die kühle Steinmauer presste. Die Scheune war völlig leer. Eine alte Mistgabel lehnte an der feuchten Wand, ein paar Boxen, in denen früher einmal Vieh gehalten worden war, und hie und da lagen ein paar Strähnen vorsintflutliches Heu wie ausgefallene Haare. Etwas regte sich in den Deckenbalken, und Hiro sah auf in die Schraffur der Schatten, wo ein Schwalbenpaar im Dämmerlicht flatterte. Und der zweite Hilfssheriff? Hiro huschte auf leichten Füßen, er war unsichtbar, ein Geist an einem Ort der Geister. Am Ende der Boxen drang schwaches Licht um eine Ecke und erhellte einen Gang. Hiro ging darauf zu.
    Er bog nach rechts in den Gang ein, stolz und spöttisch und zu allem bereit – er war ausgebrochen, wieder ausgebrochen! –, und das Licht wurde heller und umfing ihn. Vor sich sah er eine Türöffnung in der Wand, leer und voll grellem Sonnenlicht – eine Türöffnung ohne Tür, das Holzbrett war samt Schloss und Klinke offenbar irgendeiner längst vergangenen hakujin -Katastrophe zum Opfer gefallen. Hinter der Öffnung sah er Grün – den satten Schimmer der Freiheit, den brodelnden Dschungel des Lebens –, und er eilte darauf zu.
    Ganz so einfach war es aber doch nicht.
    Er hielt inne, als er in dem primitiv gemauerten Türrahmen stand, blickte nach links und rechts – eine Auffahrt, Autos, Büsche, Bäume, eine Rasenfläche –, und dann stürzte er los, auf den grünen Waldstreifen zu, der sich hinter dem Rasen erstreckte, dicht und abgeschieden und keine dreißig Meter weit entfernt. Er lief geduckt und ruckartig wie eine Krabbe, schon hatte er seine Deckung zehn Schritt weit verlassen, war den Blicken aller potenziellen Beobachter ausgesetzt, als er plötzlich erstarrte. Direkt vor ihm stand ein Hund, der gerade an einem Baum das Bein hob. Ein Hund. Besser als vierzig Hunde, besser als die wütende, knurrende Meute, die vor Ruths Haus über ihn hergefallen war, aber doch ein Hund – kein Schoßhündchen, sondern ein großes, grobknochiges,

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