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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Großmutter bis hin zur Zusammensetzung von Ruths Essensportionen, samt der exakten Anzahl von Samenkörnern in jedem Granatapfel, aber trotz all ihrer Wissbegierde blickten sie kein einziges Mal auf zu dem schreienden Beweis, der direkt über ihren Köpfen prangte. Während der ersten halben Stunde blieben alle drei stehen, pirschten um ihn herum, begleiteten ihre Fragen mit blitzschnellen Vorstößen von Fingern und Fäusten – Wann? An welchem Tag? Um wie viel Uhr? Warum? Wie? Wo? –, ließen sich von einem Strom aus Körpersprachen-Englisch und kalter hakujin -Wut tragen; dann aber, angefangen mit dem Großen, kapitulierten sie allmählich vor der Hitze und setzten sich auf die schmale Bank unter dem Fenster, Hintern neben Hintern. Von dort feuerten sie ihre Fragen als synchronisierte Salven ab und machten sich Notizen in kleinen schwarzen Blocks, die sie aus den Hemdtaschen zogen.
    Hiro antwortete, so gut er konnte; mit geneigtem Kopf und gesenktem Blick antwortete er mit der Zurückhaltung und Demut, die seine obāsan ihm anerzogen hatte. Er versuchte, ihnen die Wahrheit zu sagen, ihnen von Chiba und Unagi zu erzählen, und wie der Neger ihn angegriffen hatte, wie er den alten Mann hatte retten wollen, als ringsherum das Feuer losbrach, aber sie hörten ihm nicht zu, es war ihnen egal, sie begriffen nicht das geringste von dem, was er sagte, und dann schrien sie ihn nieder. »Du wolltest dort etwas stehlen, stimmt’s?«, brüllte das Fleckengesicht. »Auf deinem Schiff bist du über einen Offizier hergefallen, hier hast du eine senile alte Dame und ihren behinderten Ehemann ausgenutzt und einem armen unbeteiligten Mann das Haus angezündet, weil er sich gewehrt hat – so war es doch?« Hiro bekam keine Gelegenheit zum Entgegnen. Sofort stieß der Kleine nach. Dann der Sheriff. Und dann war wieder Fleckengesicht dran, und so ging es immer weiter.
    »Du bist ein Dieb.«
    »Ein Lügner.«
    »Ein Brandstifter.«
    Sie kannten die Antworten alle, wollten nur noch die Bestätigung dafür.
    Was sie jedoch am meisten zu interessieren schien, was sogar den zunehmend schläfrig wirkenden Sheriff wieder aufweckte, das war Ruth. Sie wollten ihr etwas nachweisen, und während der Vormittag sich in die Länge zog, schien ihnen dies das einzig Wichtige. Hiro war schon abgehakt, längst verschnürt und verurteilt – er war Geschichte. Aber Ruth war noch eine Unbekannte, und bei der Erwähnung ihres Namens schossen sie sofort heran wie Haifische auf einer Blutspur. Hatte er von ihr Nahrung bekommen? Kleidung, Geld, Sex, Drogen, Alkohol? Hatte sie ihn beherbergt, ihn abends in die Bettdecke eingekuschelt, plante sie, ihm bei der Flucht von der Insel und beim Überlisten der Behörden Beistand zu leisten? Hatte sie ihn zärtlich berührt, seinen Körper massiert, ihre Lippen oder Geschlechtsorgane mit den seinen in direkten Kontakt gebracht? War sie Kommunistin, verhöhnte sie das Gesetz, war ihr Lebenswandel ein lockerer? War sie Folk-Sängerin, trug sie Jesus-Sandalen, ging sie zu Demonstrationen, aß sie blintze und gefilte fish ? War sie Jüdin? Das war sie doch, oder?
    Nein, sagte er, nein. Nein auf jede Frage. »Sie mich nicht kennt«, sagte er. »Ich nehme ihr Essen, schlafe dort, wenn sie geht fort.«
    Der Große war dabei besonders erregt. »Du lügst«, höhnte er und funkelte ihn an wie ein riesiges, scheckiges Nagetier. »Sie hat dich die ganze Zeit über versteckt, ihr Bett hat sie mit dir geteilt und dir Lebensmittel und Kleidung gebracht.«
    »Nein. Stimmt nicht.« Hiro schmerzte jedes einzelne Gelenk, weil er sich krampfhaft reglos hielt. Er wollte die Tüte aufreißen und sich über das Essen hermachen, wollte seine Lippen mit dem lauwarmen Kaffee benetzen, aber er traute sich nicht. Die Eisenstäbe waren ein Teil von ihm geworden. Der Stuhl ächzte bei jedem seiner Worte. Das Fenster starrte herab.
    »Na gut«, sagte der Große schließlich, erhob sich und sah zuerst auf die Armbanduhr, dann zum Sheriff. »Jetzt ist es Mittag. Ich werde ihn mir später noch mal allein vorknöpfen – nur ich und Turco, nachdem wir mit ihr geredet haben.«
    Der Sheriff stand auf. Er streckte sich, legte den Kopf in den Nacken und massierte sich die Bänder und Muskeln. »Sicher. Tun Sie nur, was Sie tun müssen. Ihr Burschen müsst den Fall ja ohnehin übernehmen – diese Sache ist eine Nummer zu groß für uns hier.« Er seufzte, ließ seine Fingergelenke knacken, und der Blick, mit dem er Hiro bedachte, hätte ebenso gut

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