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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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einer doppelköpfigen Schlange gelten können, die in einem Glas mit Spiritus konserviert war. »Ich für mein Teil habe genug gehört.«
    Dann stand auch der kleine Kerl auf, die drei traten im Gleichschritt von einem Fuß auf den anderen, als zeigten sie eine gut einstudierte Stepptanznummer, und dann gingen sie zur Tür hinaus und knallten sie hinter sich zu. Hiro spürte das Krachen der Tür bis ins Mark, und auf einmal merkte er, dass er wieder atmen konnte. Behutsam hob er erst ein Bein, dann das andere, und zog vorsichtig die harten Metallstangen aus seinem Fleisch, das sie inzwischen inkorporiert zu haben schien, so wie ein lebender Baum einen rostigen Nagel oder die vergessene Kette eines längst verstorbenen Hundes überwächst und in sich aufnimmt. Er legte die Gitterstäbe beiseite und mühte sich vorsichtig aus dem Stuhl hoch, Tüte und Becher immer noch in der Hand haltend. Seine Beine schmerzten, sie waren verkrampft und blutleer, aus seinem Sitzfleisch war jede Empfindung gewichen, und er fühlte sich, als hätte er Sumo-Ringer auf den Schultern transportiert, einen nach dem anderen, tage-, wochen-, monate-, jahrelang … dann aber sah er zu dem Fenster empor und musste grinsen.
    Ha! jubelte er. Ha! Diese Narren! Sie waren so unvorstellbar dumm. Vier Stunden hatten sie dort gesessen, und kein einziges Mal hatten sie zum Fenster aufgeblickt. Das war das amerikanische Naturell. Tölpel waren sie, voller Betäubungsmittel, gewalttätig und übergewichtig, und sie achteten nicht auf Details. Deshalb machten ihre Fabriken bankrott, deshalb ging es ihrer Autoindustrie an den Kragen, deshalb konnten drei professionelle Ermittler stundenlang in einer zwei mal drei Meter großen Zelle sitzen, ohne zu bemerken, dass in dem Gitterfenster zwei Stäbe fehlten. Hiro hätte am liebsten laut aufgelacht vor Vergnügen.
    Und dann, noch im Stehen, wandte er seine Aufmerksamkeit der Papiertüte zu. Darin fanden sich zwei steinharte Brötchen, die jeweils eine Scheibe aus verklebtem Ei und ein zungenartiges rosa Ding enthielten, das früher einmal Schinken gewesen sein mochte. Er wunderte sich nur immer wieder, wie die Amerikaner dieses Zeug essen konnten – es war ja gar kein richtiges Essen. Essen bestand aus Reis, Fisch, Fleisch, Gemüse, und das hier waren eigentlich nur … Brötchen. Egal, er war so hungrig, dass er kaum kaute. Er verschlang die Brötchen, die nach Salz und Mehl schmeckten und nach Fett, so alt, dass es die Mutter allen Fettes hätte sein können, und spülte das Zeug mit dem kalten Kaffee hinunter.
    Im nächsten Augenblick erklomm er wieder die Wand. Diesmal brauchte er nur zwei Anläufe. Wild fuchtelten seine Arme, die Stühle unter ihm schwankten bedrohlich. Seine Füße fanden Halt in dem groben Mauerwerk, und er klammerte sich eine Weile am Fenstersims fest, baumelte dort wie ein Kettenanhänger. Als er endlich Atem schöpfte, konnte er die beiden herausgebrochenen Stäbe wieder einsetzen, und er ging sogar so weit, die Ansatzstellen mit kleinen Häufchen aus krümeligem Mörtel zu bedecken. Er wusste, dass die amerikajin -Beamten am Nachmittag zurückkommen würden, und wollte sein Glück nicht unnötig strapazieren. Er wusste auch, dass sie ihn am Abend auf die Fähre und damit auf das geheimnisvolle Festrand bringen wollten, wo ihn eine moderne Gefängniszelle erwartete. Wie hätte ihm das entgehen können? Sie hatten ihre Pläne direkt vor seinen Ohren erörtert, als wäre er blind und taub, als hätte er plötzlich sein ganzes Englisch vergessen, obwohl sie ihm zuvor in ebendieser Sprache circa sechstausend Fragen gestellt hatten. Nachlässig waren sie, o ja. Nachlässig und arrogant.
    Hiro jedoch hatte nicht die Absicht, in dieser Zelle auf dem Festland zu landen – und auch in keiner anderen. Wenn sie mit ihm fertig wären, wenn sie über Chilibohnen, Grillfleisch und Bier hockten, wenn die hypnotische Stimme des Fernsehers von jeder Veranda und aus jedem Fenster murmelte und sogar die Hunde schläfrig und benommen wurden, dann würde er in Aktion treten. Dann würde er die Wand ein letztes Mal erklimmen und wie eine Katze hinunter in die Nachbarzelle springen, um dort an der Tür nach draußen sein Glück zu versuchen – immer darum betend, dass sie nicht verriegelt sein möge. Aber sie würde offen sein. Das wusste er. Wusste es so sicher und zweifelsfrei, wie er je im Leben etwas gewusst hatte, wusste es auch dann noch, als er sich von der Erschöpfung übermannen ließ und in

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