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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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whiskeygeschwängerter Tonfall war jetzt wieder ganz der des raubeinigen Pioniers und Südstaatlers. »Tu gut auf dich aufpassen, hörst du?«
    Mit dem Zimmer gab sich Saxby gar nicht erst ab. Er steckte den Schlüssel ein, parkte den Mercedes auf dem Platz für Nummer 12 und ging die Straße entlang zu Roys Haus. Seine Euphorie war kaum noch zu bezwingen. Er fühlte sich mit allem verbunden, für ihn war alles heilig, whitmanesk, und er stand dicht vor einer besonderen Einweihung in die Geheimnisse der Natur und in das Weiß der Fische. Die Nacht verschwor sich mit ihm. Sie war vollkommen, so still und warm und friedlich, als wäre der Himmel ein Samthandschuh, der sich sanft über den Ort streifte, und er roch den Duft von Geißblatt und Jasmin, hörte von ferne kurz einen Hund kläffen und spürte im tiefsten Innern das schwirrende Pulsieren der Baumfrösche und Zikaden. Auf den Veranden glommen Lichter gegen die Erstickungsversuche der Nacht an. Die Straßen waren menschenleer. Ciceroville war eine trockene Stadt in einem County ohne Alkohollizenz, und seine gesamte 3237-köpfige Bevölkerung hatte es sich längst für den Abend auf den Sofas vor der Glotze bequem gemacht, in den Händen Dosen mit Cola, Limonade und Bier, die feucht perlten wie Schmuggelware.
    Roy erwartete ihn auf der Veranda. Saxby ging federnden Schritts die Einfahrt hinauf, sein Herz pochte, und da saß er auf dem Schaukelstuhl, auf dem Schoß seine Tochter Ally und ein Bilderbuch. »N’Abend, Sax«, begrüßte ihn Roy.
    »Roy.« Saxby war so aufgeregt, dass er sich nicht mit Höflichkeiten aufhalten konnte, er schaffte es gerade noch, die eine Silbe hervorzustoßen.
    »Saxby, Saxby, Saxby!«, quietschte Ally, und im nächsten Augenblick war sie von der Veranda gehüpft und ließ sich von ihm im Kreis herumwirbeln. Roy war im Schaukelstuhl sitzen geblieben und beobachtete ihn grinsend. Motten umflatterten die Lampe über seinem Kopf.
    »Also, du hast sie gefunden«, sagte Saxby schließlich, während Ally kicherte und an ihm zerrte und er sich große Mühe gab, das Gleichgewicht zu wahren und außerdem Kopf und Arme des sorglosen Mädchens vom harten Geländer fernzuhalten.
    Roy nickte. Er war einunddreißig, seine Stirn überragte ein Gesicht, das vor allem aus der Nase bestand, und sein weißblondes Haar trug er glatt zurückgekämmt und zum Pferdeschwanz gebunden. Sein Arbeitgeber war die Nationalparkverwaltung, und er war zweiter Leiter des Staatlichen Naturschutzgebiets Okefenokee. Er hatte Saxby auch die Sondergenehmigung zum Fischfang besorgt – wohl das Mindeste, was man für einen ehemaligen Kommilitonen tun konnte, wie er einmal trocken bemerkt hatte. »Willst du mit reinkommen und dir die Fische ansehen«, fragte Roy, »oder möchtest du lieber hier draußen sitzen bleiben und dir mit Ally den Schluss von Der Schinken und die grünen Eier anhören?«
    »Mach mich nicht schwach, Roy«, erwiderte Saxby. Er hatte Ally schon abgestellt wie ein Päckchen, das er später nicht vergessen wollte, und kam die Stufen hinauf. »Wo sind sie – im Haus oder in einem Aquarium in der Garage?«
    Roy war aufgestanden. »Na gut, wenn du sie unbedingt sehen willst«, sagte er, »aber bist du sicher, dass wir uns nicht vorher lieber die Atlanta Braves ansehen sollten? Im Fernsehen bringen sie heute gleich zwei Spiele hintereinander.«
    Saxby ließ ihm seinen Spaß, aber als Roy behände die Stufen hinuntersprang und um das Haus herumging, blieb er ihm scharf auf den Fersen. Sie bewegten sich auf die Garage zu, ein zweistöckiges, windschiefes Gebäude abseits des Wohnhauses, das dringend Farbe, Kitt, Nägel, Bauholz, Dielen, Stützbalken und vier- bis fünfhundert Dachschindeln nötig hatte. In der Einfahrt standen Roys Pritschenwagen und der Honda seiner Frau, unter ihren Schuhen knisterte totes Laub, und durch die schlierigen Fenster vor ihnen schimmerte ein weiches, verführerisches Licht. Für Autos gab es keinen Platz in der Garage, die Roys Sammlung von Skeletten und taxidermischen Präparaten, seine Werkzeuge, Käfige, Fallen und ein Durcheinander aus altem Hausrat beherbergte, das zwanzig zukünftigen Archäologen genügend Material für wissenschaftliche Arbeiten geboten hätte: zusammengekrachte Spieltische und zerbrochene Stühle, Rollen von fleckigen Tapeten- und Teppichresten, bis an die Decke gestapelte Pappkartons, aus denen ramponierte Puppen, zerbrochenes Steingutgeschirr, zerfledderte Zeitschriften und rostige Allzweckmesser

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