Der Samurai von Savannah
wieder und wieder mit der schmerzhaften Spitze ihres kleinen roten Schuhs. »Dafür wird mein Vater dich bezahlen lassen«, geiferte sie, das Make-up verschmiert, die Sonnenbrille heruntergefallen, »du Schwein … wenn Saxby nur hier wäre …«
Saxby? Wer zum Teufel war Saxby? Nicht, dass es nötig gewesen wäre, denn Aberclown hielt ihn mit seinen Orang-Utan-Armen fest umschlungen, und ungefähr vierzehn andere Körper lagen auf ihnen beiden drauf, jetzt zerrten sie ihn hinaus auf den Rasen und in die Dunkelheit, die sich allmählich über die Bäume legte wie der Vorhang, der nach dem letzten Akt eines Theaterstücks fällt. Nein, nicht irgendeines Stückes: einer Tragödie.
In diesem Moment, im Moment der Auseinandersetzung auf der Veranda, als Ruth seinen Namen beschwor, befand sich Saxby gar nicht mehr auf Tupelo Island. Er saß im Mercedes seiner Mutter und donnerte mit hundertzwanzig die Schnellstraße entlang, in Richtung Waycross und Ciceroville zum westlichen Rand des Okefenokee-Sumpfes. Hinter ihm auf dem Rücksitz stand sanft vibrierend die schmutzige gelbe Sportlertasche, in die er Zahnbürste, Rasierapparat, frische Unterwäsche, drei Paar Socken, zwei Shorts, ein T-Shirt und ein Halstuch gestopft hatte. Neben der Tasche, als unförmige Nylonknäuel im Dunkeln, lagen sein Schlafsack und das Einmannzelt. Seine Reusen und die Stiefel, eine
Sauerstoffflasche und eine Rolle mit durchsichtigen Tüten aus festem Plastik – zum Fischtransport, mit einer Drahtschnur zum Zuziehen – hatte er im Kofferraum verstaut. Der Mercedes war nicht besonders praktisch als Fahrzeug für eine Expedition in die Sümpfe, aber der Pritschenwagen stand in der Werkstatt – diese Fords! Keine zehntausend Kilometer hatte das Scheißding drauf, und schon tropfte unten das Öl heraus –, und als Roy Dotson angerufen hatte, um ihm zu erzählen, er habe in einem Graben auf der Rückseite von Billy’s Island einen Eimer mit Albinos gefangen, war einfach keine Zeit geblieben. Auf diesen Moment hatte er gewartet, seit er aus La Jolla zurückgekommen war.
Er war ganz aufgeregt, während er so durch die langen Schatten des Abends brauste, das Radio voll aufgedreht. Natürlich spielten sie Country-Musik – er stand ja eher auf Soft-Rock, so in der Richtung von Steely Dan, aber sobald man hier auf dem flachen Land war, kriegte man nichts anderes rein als das typische verspießerte Honkytonk-Gejammere mit Psychodramatexten –, aber er drehte es trotzdem voll auf. Albino-Zwergsonnenbarsche. Einen ganzen Eimer voll davon hatte Roy Dotson. Und sie gehörten ihm. Er brauchte sie nur abzuholen. Saxby war so glücklich, dass er auf dem Lenkrad den Takt schlug und mit schriller Jammerstimme derartig falsch mitsang, dass er die Grand Ole Opry in Nashville/Tennessee in zehn Sekunden leer gefegt hätte:
I don’t care if it rains or freezes,
Long as I got my plastic Jesus
Glued up on the dashboard of my car.
Er donnerte an schindelgedeckten Tankstellen vorbei, kam durch Orte, die aus drei Farmhäusern und einer einzigen Kreuzung bestanden, passierte Baracken, blöde vor sich hin glotzende Rinder, weite, weiß-rosafarbene Baumwollfelder und tauchte immer tiefer in das Zwielicht ein, während die Stahlgürtelreifen rhythmisch unter ihm sangen. Er fühlte sich so gut wie noch nie in seinem Leben, stellte sich vor, wie er den spiegelglatten Tümpel vor dem Großen Haus in einen Zuchtteich umwandeln würde, in dem milchigweiße Albinos an die Oberfläche schossen, sobald er das Trockenfutter hineinwarf, sah schon die Bestellungen von Aquarianern aus
der ganzen Welt eingehen, den stetigen Strom von Vortragsangeboten und Beratungsanfragen … dann aber dachte er an Ruth, und damit schaltete er innerlich auf ein anderes Programm um. Er hatte sie nur schweren Herzens zurückgelassen, aber Roys Anruf hatte ihn wie ein Blitz getroffen und völlig elektrisiert – sie würde schon zurechtkommen, hatte er sich gesagt, während das Adrenalin in seinen Adern pulsierte und er hektisch durchs Haus raste, um die Sechs-Uhr-Fähre noch zu erwischen. Und wenn sie nicht zurechtkam – hier musste er sich eingestehen, wie verletzt er gewesen war –, war sie selbst daran schuld. Sie hatte ihm nichts erzählt, hatte ihm nicht vertraut. Er hatte sich hintergangen gefühlt. War wütend gewesen. Hatte sich an ihr rächen wollen. Deshalb war er zu Abercorn gegangen – wer hätte das nicht getan?
Aber so eiskalt, wie sie es dargestellt hatte, war er auch nicht
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