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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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quollen, Stapel um Stapel von Farbdosen, leeren Weinflaschen und unzähligen Gläsern mit Lackverdünnung, Flüssigkeit zum Einbalsamieren und Formalin. Mittendrin hatte Roy ein paar Drahtkäfige aufgestellt, in denen Schlangen, Schildkröten und Opossums raschelten, außerdem ein halbes Dutzend uralter Aquarien mit Schieferboden, in denen es unter provisorisch verkabelten Lampen blubberte. Wenn er etwas Interessantes im Sumpf fand, nahm er es immer gleich mit nach Hause.
    Zusammen mit Ally, die vor ihnen herflitzte und dabei in nasalem Singsang »Saxbys frische Fische, Saxbys frische Fische« vor sich hin trällerte, betraten sie nun diesen beengten, aber Ehrfurcht gebietenden Ort. Was Saxby als Erstes ins Auge sprang, war ein ausgestopftes Gürteltier, das auf einem Kleiderständer hockte, als Nächstes die präparierte Pfote einer Wildkatze, die in einer Falle zurückgeblieben war, irgendein Käfigtier mit schwarz glitzernden Augen, und schließlich fiel sein Blick auf die Aquarien, die schwach erleuchtet und doch wie Juwelen schimmernd am anderen Ende des Raums standen. Er atmete schwer – er keuchte beinahe –, während er durch den Wust von Unrat zu seinen Füßen watete und sich der blitzenden Glasscheibe näherte, vor der Ally sich aufgestellt hatte. Er ging in die Knie, spähte erwartungsvoll durch den dicken Schleier aus Algen und sah … ein gekräuseltes Maul und zwei tote Saurieraugen, die ihn unbewegt anstarrten. Allys Lachen klang schrill wie ein Feueralarm. »Reingelegt!«, quietschte sie.
    »Eins weiter, Sax«, half ihm Roy. »Das nächste rechts.«
    Saxby drehte den Kopf, und nun erlebte er seinen Augenblick der Gnade. Da waren sie. Seine Albinos. Ihre Kiemendeckel hoben und senkten sich, die Flossen schlugen sanft, kalte Lippen hauchten ihm Küsse zu. Kleine Wunderwesen waren das.
    Er betrachtete sie eingehender. Keiner von ihnen – achtzehn waren es insgesamt – war länger als die Verschlusskappe eines Bic-Kugelschreibers, und die meisten wiesen Verletzungen an Schwanz- und Rückenflossen auf, weil sie von Artgenossen attackiert worden waren. Obwohl sie so klein waren, handelte es sich um eine aggressive Spezies, die ein vehement territoriales und antisoziales Verhalten an den Tag legte. Roy hatte zwar ein paar Äste und Steine zum Verstecken ins Wasser getan, aber das war nur ein halbherziger Versuch, der die Fische nicht einmal ansatzweise voreinander schützte. Was glaubte der bloß? War ihm denn nicht klar, was er da vor sich hatte? Saxby spürte Ärger in sich hochsteigen, aber er schluckte ihn hinunter – da waren sie, seine Albino-Zwergsonnenbarsche, glatt und weiß wie winzige Seifenstücke, und alles andere war unwichtig.
    Lange Zeit blieb er vor dem Aquarium hocken und sah zu, wie sie still im Wasser trieben, unter der Oberfläche kreisten, rasch aufstiegen und wieder zu Boden glitten und plötzliche, stürmische Angriffe auf ihre Artgenossen unternahmen. Sie waren tatsächlich weiß, und das verblüffte ihn. Er hatte es ja gewusst – vom Verstand her –, aber die Wirklichkeit überraschte ihn doch. Albino-Welse hatte er schon gesehen, Cichliden, blassrosa wie Kirschyoghurt, blinde Höhlenfische, die Äonen des Herumhuschens in der Dunkelheit gebleicht hatten, aber das hier war etwas anderes. Es war legendäres Weiß, das Weiß der Reinheit, das Weiß von Junibräuten, von Christos »Running Fence«, das Weiß der Innenseite des Einwickelpapiers von Hershey-Schokoriegeln. Er würde sie züchten, das würde er, und zwar weil sie ungewöhnlich waren, Raritäten, Monstrositäten, weil sie so weiß wie die Laken und Kapuzen des Ku-Klux-Klans waren, so weiß wie Eis, herzlos, kalt und unerlässlich.
    Er blickte auf. Ally war verschwunden. Roy stand neben ihm. »Können wir noch mehr davon kriegen?«
    Roy lächelte sein stilles Lächeln. Er kannte die Aufregung, die den Atem schneller gehen lässt, wenn man eine ganz bestimmte Schmetterlings- oder Schneckenspezies oder einen blass schillernden, fingernagelgroßen Fisch vor sich hat. »Jedenfalls können wir’s versuchen.«
    Am nächsten Morgen holte das Telefon Saxby aus seinen Träumen von der farblosen Tiefsee. Es klingelte nur ein Mal, schon packte er es wie eine Jagdbeute, als hätte er die ganze Nacht über nur deshalb stillgelegen, um das Ding in Sicherheit zu wiegen. »Ja?«, keuchte er hinein.
    Es war Gobi. »Aufgewacht und frisch gemacht, junger Mann«, säuselte er in seinem indischen Südstaatlerakzent. »Es ist fünf Uhr

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