Der Samurai von Savannah
Butterstinker seinen Kofferraum nicht vor einem Lebensmittelgeschäft öffnen, vor einem Burger King oder vor Saks Fifth Avenue? Warum hier? Warum diese Bäume und Wasserlilien und diese übel riechende gaijin -Senkgrube? Sollte das ein schlechter Scherz sein?
Niemand rührte sich. Hiro stand sprungbereit auf der Schwelle zwischen Gefangenschaft und Flucht, der bōy-furendo bewegte sich nicht, sein Komplize steckte bis zu den Knien im Schlick und sah verdattert zu ihm herauf. Hiro hätte an dem bōy-furendo vorbei- und weiter auf den schmalen Streifen trockenen Landes zurennen können, aber hinter ihm standen weitere Butterstinker, ganze Legionen von ihnen, mit Angelruten und Geländewagen und Bootsanhängern, und schon legten sich der Hass, der Abscheu und die Verachtung in ihre Blicke. Es gab keine Wahl: Zögern bedeutete Tod. Drei Schritte Anlauf, ein Hechtsprung, und er war in seinem Element, im Wasser, wieder einmal im Wasser, für das er geboren, gegen das er abgehärtet war, flink und behände und stromlinienförmig wie ein Delfin.
Ein Déjà-vu.
Diesmal jedoch war das Wasser nicht salzig – es war Badewannenwasser, dreckig und stinkend, die Lauge, die man gurgelnd in den Abfluss laufen lässt, nachdem ein ganzes Dorf eine Woche lang darin gebadet hat. Er schlug auf die Entengrütze und die schaumige Brühe ein, schwamm auf die andere Seite der Lagune, ehe die verdutzten Angler hinter ihm ihre Köderkisten fallen lassen und die Motoren ihrer schnellen, stumpfnasigen hakujin -Sumpfboote anwerfen konnten. Er erreichte das Ufer – aber das war gar kein richtiges Land, das war etwas anderes, etwas, das unter seinen Füßen federte wie ein straff gespanntes Trampolin –, während das schon vertraute Gebrüll hinter ihm losbrach und die Außenbordmotoren mit dem Grollen jagender Raubtiere zum Leben erwachten. Egal, er war schon verschwunden.
Ja, aber was jetzt? Wenn er die Insel unangenehm gefunden hatte, wenn er langsam genug hatte von Mooren und Moskitos und von Kleidern, die niemals trocken wurden, dann war dieses Festrand die Hölle selbst. Er bahnte sich einen Weg in den Busch hinein, fort von den Stimmen und dem Heulen der Außenborder, kämpfte sich durch das Gestrüpp, aber es gab keine Rast, keine Erholung, keinen Ort, an dem er sich ausruhen oder dem Schlick entkommen konnte. Das Wasser war knietief, hüfthoch, ging ihm einen halben Meter bis über den Kopf, und darunter war der Schlamm, der an ihm saugte, ihn bis zur Taille einsinken ließ, ihn unbarmherzig hinabzog. Mit jedem verzweifelt ausholenden Schwimmstoß sank er tiefer ein. Was für ein schimpflicher Tod, dachte er. Er rief Jōchō zu Hilfe, spannte sein hara an, aber dennoch ging er unter. Endlich, als seine Gliedmaßen vor Erschöpfung schon ganz taub waren, gelang es ihm, nach Luft schnappend und halb erstickt von den Fliegen und Moskitos, die die Luft ringsherum schwärzten, sich an dem glatten, knochigen Wurzelknie eines Baums, der vor ihm aufragte wie ein Granitpfeiler, aus dem Morast zu ziehen.
Keuchend lag er da, zu ausgepumpt, um auch nur die Insekten von seinem Gesicht zu verscheuchen. Der düstere Schatten der großen, moosüberwachsenen Bäume verdunkelte den Vormittag, dass es Hiro fast vorkam, als wäre es Nacht. Ein Sumpf! Schon wieder ein Sumpf. Ein so gewaltiger Sumpf, dass er Ruths Bungalow, Ambly Woosters Grundstück, das Große Haus und die vielen unbedeutenden Sümpfe und Schlammpfützen auf Tupelo Island glatt hätte verschlucken können. »Mist«, stieß er hervor. » Bakayorō! Verfluchter Dreck.« Er fühlte sich wie ein Bergsteiger, der sich gerade Zentimeter für Zentimeter eine steile Felswand hinaufgequält hat, nur um festzustellen, dass dahinter eine zweite, doppelt so hohe Felswand aufragt. Was war mit ihm geschehen? Wie war er hierhergekommen? Doggo, seine obāsan , Chiba und Unagi, an ihre Gesichter konnte er sich kaum noch erinnern. Aber Ruth, die sah er klar und deutlich vor sich, sah sie in ihren vielen wandelbaren Erscheinungen: die schlanke Sekretärin mit den weißen Beinen, Verführerin, Liebhaberin, Beschützerin und Kerkermeisterin. Sie hatte ihr Essen und ihr Bett mit ihm geteilt, ihm ihre Zunge und ihre Schenkel hingegeben, und sie hatte ihn aufs Festrand schmuggeln wollen – nicht auf dieses Festrand , nicht auf ein Festrand von Fäulnis, Gestank und abnormer Natur, sondern auf das Festrand der Städte und Straßen und Geschäfte, wo reinrassige Amerikaner mit happas Hand in Hand gingen.
In
Weitere Kostenlose Bücher