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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Chinesen Höflichkeiten auszutauschen. Der Regen troff aus den Dachsparren herab und prasselte wie Schrotkörner auf die Wasseroberfläche vor ihnen.
    »Ich heiße … Seiji«, beschloss er schließlich – was wussten sie denn schon, diese Amerikaner, die konnten einen Chinesen doch nicht von einem Ugander unterscheiden. »Seiji… Chiba.«
    Und dann, als er trocken und warm in den Daunenschlafsack gehüllt dasaß, zum ersten Mal seit Tagen mit vollem Magen, wurde er mitteilsam und erzählte ihnen die mitleiderregende Geschichte seines Missgeschicks im Sumpf. Sein Boot war gekentert, ja, vor zwei Tagen – ein Krokodil hatte ihn angegriffen. Es war aus den Bäumen auf ihn herabgeschnellt, und er hatte mit ihm gekämpft, aber das Boot war dabei umgekippt, und er hatte alles verloren, all seine Tüten mit Fleisch und Karamellkeksen, seine Levi’s und sein Surfbrett. Und so war er umhergeirrt, dem Tode nah, hatte Beeren gegessen und Sumpfwasser getrunken, bis sie ihn gerettet hatten – und er schloss seinen Bericht, indem er sie volle fünf Minuten lang pries, sowohl auf Englisch als auch auf Japanisch.
    Als er fertig war, herrschte Schweigen. Das Gewitter hatte aufgehört, und das Sirren der Insekten durchdrang wieder die fieberheiße Luft; irgendetwas schrie draußen in der Nacht. »Na dann«, sagte der Mann und klatschte in die Hände wie ein Football-Schiedsrichter, »ich denke, wir legen uns jetzt alle aufs Ohr, was? War ja ein recht anstrengender Tag.«
    Irgendwann mitten in der tiefen, stillen, vibrierenden Nacht, als das Zwitschern und Heulen und Kreischen zu einem dumpfen Raunen verebbt war und die neue Moskitogeneration darauf wartete, geboren zu werden, erwachte Hiro zitternd und merkte, dass der Regen wieder eingesetzt hatte. Er wusste sofort, wo er war, und er wusste auch, dass die wattierte Decke, die sie ihm gegeben hatten – diese amerikajin schienen alles in zweifacher Ausführung zu haben –, völlig durchnässt war. Der Wind hatte gedreht; er kam jetzt aus Norden und brachte einen unverwechselbaren Duft von
    Herbst mit sich. Aber welcher Monat war denn eigentlich? August? September? Oktober? Er hatte keine Ahnung. Er war schon so lange unterwegs, hatte wie ein Penner auf der Straße, wie ein Barbar in einer Höhle gelebt, dass er nicht einmal mehr den Monat wusste, geschweige denn Datum oder Uhrzeit. Fröstelnd dachte er darüber nach und empfand daraufhin heftiges Selbstmitleid.
    Bald würden sie wieder hinter ihm her sein, das war ihm klar. Der bōy-furendo würde zur Polizei gehen, der müde kleine Sheriff mit der spitzen Nase würde seine Neger und Hunde zusammenrufen und mit einer ganzen Flotte in den Sumpf aufbrechen, mit Rennbooten und Pontons, mit Kanus und Dinghis und schwimmenden Gefängniszellen. Das Fleckengesicht und sein erbarmungsloser kleiner Kompagnon würden auch da sein, und Ruth und Kapitän Nishizawa – sie würden mit Hubschraubern die Bäume zerfetzen, mit Sirenen und dem lang gezogenen, blutrünstigen Geheul ihrer Hunde den Himmel aufreißen. Wenn sie ihn vor zwei Tagen gehasst hatten, so verabscheuten sie ihn jetzt aus tiefstem Herzen. Er hatte sie zum Narren gehalten. Und sie würden ihn mit allen erdenklichen Mitteln jagen.
    Es war ein Jammer, wirklich. Hätte der Mercedes nur irgend jemand anders gehört als dem größten Butterstinker persönlich, hätte er nur einem umherziehenden Hausierer, einem Staubsaugervertreter, einem bezahlten Killer gehört, dann könnte Hiro inzwischen schon Tausende Meilen weit weg sein – im Big Sky Country, in Motown oder am Golden Gate. Aber es war anders gekommen, und deswegen war er hier. Was er brauchte, so begriff er plötzlich intuitiv, das war ein Boot. Wenn er ein Boot hätte, könnte er bis an den Rand des Sumpfes paddeln, von dort querfeldein gehen, bis er auf eine Straße stieß, und dann – was dann? Wieder ein doppeltes Spiel? Noch mehr Hass? Noch mehr hakujin -Hinterhältigkeit und Negergemeinheiten? Aber was blieb ihm schon für eine Wahl – sie würden ihn jagen wie ein Tier. So lag er nass und elend da, eingewickelt in sein Netz aus Lügen, und sein Herz wurde hart. Er wusste, wo es ein Boot gab. Ein Kanu. Schlank und flink und mit Proviant für eine ganze Armee.
    Die Jeffcoats schliefen fest, das leise Prasseln ihres Atems ertönte synchron, der Schlaf war eine Belohnung, ihr Besitz lag um sie verstreut wie gewaltige Reichtümer. Das Kanu lag im Dunkeln am Rand der Plattform vertäut und schaukelte sanft. Von dort,

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