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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Kurzem angekommen war aus – aus New York –«
    »Ach komm schon, Dad – das denkst du dir jetzt aus.«
    »Nein, nein, ich hab’s gelesen. Wirklich. Jedenfalls waren sie zu dritt, ein Mann, seine Frau und ihr Sohn – ein Junge etwa in deinem Alter, Jeffie –, und sie hatten auch einen Hund und ein paar Rinder, dazu noch ein Maultier, glaube ich. Sie waren Bauern. Sie hatten ein bisschen Land trockengelegt und versuchten, auf dem fruchtbaren Boden Baumwolle und Tabak anzupflanzen. Soweit ich mich erinnere, waren sie erst wenige Monate zuvor angekommen – sie hatten noch nicht einmal ein Haus gebaut. Alles, was sie hatten, war ein notdürftiger Unterschlupf auf einer Plattform wie dieser hier, ein Dach über dem Kopf, aber an den Seiten war es offen –«
    »Dad.«
    Jeff überging die Unterbrechung. Jetzt hatte er ihn, er wusste es. Er zwinkerte Julie verschwörerisch zu. »Billy Bowlegs gab seinen Leuten den Befehl, die beiden Männer zu töten und die Frau zu rauben. Aber es regnete so stark, dass einer der Indianer ausrutschte, wobei seine Muskete losging, gerade als die Krieger aus den Büschen hervorstürmten. ›Rennt weg!‹, rief der Vater, und mit einem Mal flogen von überall her die Tomahawks und Pfeile. Der Sohn und die Mutter liefen davon, und der Vater feuerte sein Gewehr ab, um ihnen einen Vorsprung zu verschaffen, dann ergriff er selbst die Flucht. Aber weißt du was?«
    Jeff junior beugte sich so weit vor, dass er sich mit den Ellenbogen abstützen musste. »Was?«, fragte er atemlos.
    »Sie rannten auf eine dieser Torfinseln, die sich in dem Gewitter vom Land losgerissen hatte, und plötzlich war es, als liefen sie durch einen Traum: sosehr sie sich auch anstrengten, sie kamen kein Stück vorwärts, und da stand auf einmal Billy Bowlegs, das Gesicht mit schwarzem Schlamm bemalt, den Tomahawk hoch erhoben –«
    In diesem Augenblick riss ein Windstoß die Befestigung der Plane los, sodass sie zusammenfiel und sie alle einen kräftigen Wasserschwall abbekamen. Wie Gischt im Ozean. Jetzt goss es in Strömen, der Regen peitschte durch die Öffnungen und rann durch das löchrige Dach herein. In dem Durcheinander kam Jeff rasch auf die Beine und warf einen Blick auf das hintere Ende der Plattform, während Julie und Jeff junior kreischend nach den Regenmänteln suchten. Was er dort sah, ließ ihn erstarren. Eine Gestalt hatte sich aus dem Zwielicht geschält, und es war weder der akrobatische Alligator noch der Bär, den sie im Unterholz vermutet hatten. Krummbeinig, abgerissen, mit Schlamm und Dreck beschmiert, stand dort die Gestalt von Billy Bowlegs höchstpersönlich.
    Hiro wusste überhaupt nicht mehr weiter. Ein Gewitter war im Anzug, es wurde dunkel, und er war bereits von jedem einzelnen Moskito auf dieser Erde sechs- bis achtmal gestochen worden, gar nicht zu reden von deren Verwandten, den Zecken, Sandflöhen, Bremsen und Schnaken. Er würgte an Schlamm und Erbrochenem, fühlte sich vom Hunger ausgehöhlt wie eine Kalebasse und wankte, Vögel, Reptilien und Frösche aufscheuchend, aus dem Morast auf eine Baumgruppe zu, wo das Wasser etwas seichter, der Schlamm etwas fester war. Stunden zuvor, als die Sonne direkt über seinem Kopf stand, war er auf einen Strauch mit bitteren schwarzlila Beeren gestoßen und hatte sich auf der schwankenden Matte niedergelassen, sich mit den Früchten vollgefressen, bis sie ihm wieder hochkamen wie der Bodensatz einer Flasche schlechten Weins. Lange Zeit lag er völlig mutlos da, verfluchte sich selbst, seinen hakujin -Vater und seine Mutter mit den festen Beinen, verfluchte Ruth – sie hatte ihn verraten, dieses Miststück, hatte ihn für ihre Erzählung, für ihre Geschichte benutzt, aus einer Laune heraus, und dann hatte sie ihn weggeworfen, als wäre er menschlicher Müll. Das Wasser wiegte ihn in den Schlaf. Es hagelte Moskitos, er schloss die Augen und döste ein. Und dann, als die Sonne am Himmel sank und jedes Lebewesen im ganzen Sumpf sich seine stündliche Ration japanisches Blut holen kam, erwachten seine Sinne wieder. Zuerst weckte ihn ein Geräusch – eine leise geträllerte, etwas schräge Melodie übertönte hie und da die Kakophonie aus Quaken, Grunzen und Quietschen, die pausenlos an seinen Ohren zerrte. War das eine Flöte? Spielte da jemand Flöte, hier am hintersten Ende von Nirgendwo? Als Nächstes meldete sich sein Geruchssinn und ließ die Erinnerung an Lagerfeuer und Fleisch in ihm aufleben.
    Ringsherum brach das Gewitter los, gerade

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