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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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als er zwischen den Bäumen hervortaumelte auf die Matte aus halbfestem Schlamm, endlich hatte er wieder so etwas Ähnliches wie Erde unter den Füßen – an sich schon ein kleines Wunder –, aber was da vor ihm lag, war ihm ein Rätsel. Ein primitives Gerüst, im Grunde nichts als ein Unterstand, ragte da gut dreißig Meter vor ihm aus dem Gestrüpp, und bewohnt war es von Menschen, hakujin , die dort um ein Feuer saßen. War das ein Haus? Waren das »Hillbillies« – oder »Sumpf-Billies«? Und was war überhaupt ein billy – eine Art Ziegenbock, oder? –, und konnte überhaupt irgendjemand, Sumpfbilly oder sonst wer, ernsthaft hier leben wollen? Andererseits war dies Amerika, und ihn überraschte mittlerweile gar nichts mehr. Ob das nun Büffeljäger, junge Republikaner oder Crack-Dealer waren, es war ihm völlig egal: Er starb fast vor Nässe und Hunger und einer Verzweiflung, die sich wie Klauen in sein Innerstes krallte und ihn nicht loslassen wollte, und er brauchte diese Menschen.
    Trotzdem, halb tot oder nicht, überstürzen wollte Hiro auch nichts. Er erinnerte sich an den glupschäugigen Neger, der um seine Austern gekämpft hatte, an das Mädchen im Coca-Cola-Laden, an Ruth, die ihn beschwichtigt und unterworfen hatte, um sich dann gegen ihn zu wenden und ihm das Herz herauszuschneiden. Er roch das Fleisch, sah den Unterstand, stellte sich vor, wie es wäre, im Trockenen zu sein, nur eine Minute lang … aber wie konnte er sich diesen Billies nähern? Was würde er sagen? Auf seinen Hunger hinzuweisen nützte nichts, wie ihm der Vorfall mit dem Neger gezeigt hatte; auch die Clint-Eastwood-Methode hatte sich als Fehlschlag erwiesen, obwohl er mit seiner Flucherei ganz zufrieden, sogar stolz darauf gewesen war. Richtig funktioniert hatte eigentlich nur die Irreführung: Ambly Wooster war überzeugt gewesen, er sei jemand namens Seiji, und wenn sie das geglaubt hatte, würden es ihm diese Leute vielleicht auch abnehmen. Aber er musste vorsichtig sein. Wer hier draußen lebte – er konnte es immer noch nicht fassen –, der musste primitiv und entartet sein. Wie hieß dieser Film, in dem die Städter auf Kanus fahren und die Hillbillies sie von der Steilküste aus attackieren?
    Jetzt aber hatten sie ihn entdeckt. Die Blitze zuckten, der Regen prasselte auf ihn nieder. Auf der Plattform stand ein Mann, der eine verwirrte, verängstigte Miene machte – es sah wieder einmal schlecht aus –, er schrie irgend etwas, und die anderen beiden – eine Frau und ein Junge – erstarrten. Was sagte er da? Ach ja. Ja. Der Kriegsruf der hakujin : »Können wir Ihnen irgendwie helfen?«
    Hiro starrte sie erst an, dann blickte er in dem regengepeitschten Sumpf um sich. Er war erschöpft, ausgehungert, übersät mit schwellenden Insektenstichen, schmutzig, aufgeweicht, anämisch durch den Blutverlust – und es kam ihm vor, als hätte er schon sein ganzes Leben so verbracht. Er entschloss sich zu einem Wagnis. Sollten sie ihn doch erschießen, aufknüpfen oder an ein Kreuz nageln, sollten sie ihm die Haut von den Knochen ziehen und ihn verspeisen, es war ihm egal. Ruth hatte ihn verraten. Die Stadt der Brüderlichen Liebe war ein Beschiss. Es gab nur den Sumpf, nichts als den Sumpf. »Tuu-rist!«, rief er in Erinnerung an das Mädchen in dem Laden. »Aus Boot gefallen!«
    Nichts. Keine Reaktion. Die beiden kleineren Gesichter flankierten das größere, und die drei ausgewaschenen Augenpaare durchbohrten ihn wie Speere. Der Wind heulte. Die Bäume tanzten. »Tuu-rist!«, wiederholte Hiro und formte dabei die Hände zum Trichter.
    Was dann kam, war ebenso unerwartet wie alles andere, was ihm widerfahren war, seitdem er seinen Sprung vom Seitendeck der Tokachi-maru gewagt hatte: Sie glaubten ihm. »Halten Sie aus!«, rief der Mann, als spräche er mit einem ertrinkenden Kind, und dann sprang er schon von der Plattform hinunter und kam platschend durch den Morast auf ihn zu. Es war die reinste Rettungsaktion. Der Mann warf sich Hiros Arm über die Schulter, als hätte er einen Kriegsverwundeten abzutransportieren, als wäre der Regen ein Schauer aus Kugeln und Schrapnellen, und rannte mit ihm zurück zu dem Unterstand, wo die Frau und der Junge in Bewegung waren, hastig eine Art Zeltplane als Schutz gegen die Elemente aufspannten. Innerhalb von Minuten knisterte das Feuer, er trocknete sich das Haar mit einem Handtuch, und der Mann hielt ihm einen Schlafsack hin, in den er sich einwickeln sollte. Dann sang der Kessel, und

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