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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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ein Styroporbecher mit heißen Instant-Nudeln wurde ihm in die Hand gedrückt, die er aß, während die drei anderen Feuerholz nachlegten, die Löcher im Dach stopften und ihn mit vor Mitleid weit aufgerissenen Augen beobachteten. »Noch mehr?«, fragte der Mann, als Hiro aufgegessen hatte, und auf sein zustimmendes Nicken erschien wie durch Zauberei eine zweite Tasse mit Fertignudeln.
    »Sie brauchen trockene Sachen«, sagte der Mann, und ehe er diese Notwendigkeit noch seiner Frau vermittelt hatte, durchwühlte diese bereits einen Rucksack, der mit Hemden, Shorts, Handtüchern und Socken vollgestopft war. Ein Rucksack? Waren es Camper? Und wenn ja, warum campten sie nicht in der sauberen, schönen, trockenen Weite der offenen Prärie statt in dieser Jauchegrube? Diese gaijin , er würde sie nie verstehen, und wenn er hundertvier Jahre alt wurde. Sie boten ihm Kleidung an – ein T-Shirt mit der riesigen, kindischen Abbildung eines grinsenden Gesichts und der Aufschrift BESTER VATER DER WELT , eine zu enge Unterhose und abgeschnittene Bluejeans, in die er nie hineingekommen wäre, wenn sein hara nicht derartige Entbehrungen erlitten hätte. Hiro verzog sich in die andere Ecke der Plattform, um sich umzuziehen, dies unter ständigen Verbeugungen und Dankbezeugungen, während er schon die Last des on abschätzte und so viel Erkenntlichkeit zum Ausdruck brachte, dass er ebenso gut einen Schrein hätte errichten können. Ob er noch etwas zu essen haben wollte? Er wollte. Und dann brutzelte Fleisch auf dem Grill, dazu gab es Kartoffelchips, hart gekochte Eier, rohe Karotten, Kohlsalat und Früchtekuchen. » Dōmo «, sagte er immer wieder, » dōmo arigatō. «
    Sie musterten ihn. Saßen in einem Halbkreis vor ihm, die Hände um die Knie geschlungen, in den Augen ein Schein von Besorgnis und Nächstenliebe. Sie sahen ihm beim Essen zu, so wie eine liebevolle junge Mutter ihrem Kind dabei zusieht, wie es seine pürierten Erbsen und Karotten auflöffelt; sie hingen an jedem seiner Bissen. Jetzt, da sie ihn errettet und gefüttert hatten, kamen unvermeidlich die Fragen. »Sind Sie von den Philippinen?«, fragte der Mann, als Hiro sich eine ordentliche Portion Früchtekuchen in den Mund schob.
    Vorsicht, Vorsicht. Er hatte sich ja entschieden, dass die beste – die einzige – Strategie im Lügen bestand. »Aus China«, sagte er.
    Die Gesichter blieben ausdruckslos. Der Rauch wirbelte herum. Hiro griff nach dem letzten Stück Früchtekuchen. »Sie waren also auf einem Tagesausflug hier?«, fragte der Mann beharrlich weiter.
    Tagesausflug, Tagesausflug, wovon sprach der Mann? »Bitte und Verzeihung, aber was das ist: ›Tagesausflug‹?«
    »Eine Fahrt in den Sumpf. Als Tourist – so wie wir.« Aus irgendeinem Grund lachte der Mann darüber, ein herzliches, wunderschön schallendes Lachen, das aus einem zahnärztlichen Wunder von Mund erklang und aus dem Gelassenheit, Gesundheit und beruflicher Erfolg sprachen. »Ich meine, ist Ihr Boot gekentert, wurde jemand verletzt? Oder waren Sie allein?«
    »Allein.« Hiro ergriff dankbar die angebotene Antwort. Er fühlte, dass es ein guter Zeitpunkt für ein Lächeln wäre, also lächelte er sie an, samt schiefen Zähnen und so weiter. Das Lügen war eigentlich gar nicht so schwer. Es war die amerikanische Art, das begriff er jetzt. Es wunderte ihn, dass er damit bei Ambly Wooster so viel Probleme gehabt hatte.
    Sie waren die Familie Jeffcoat, aus Atlanta/Georgia. Eigentlich aus New York. Jeff, Julie und Jeff junior. (Der Junge wurde rot, als sein Vater ihn vorstellte.) Hiro verbeugte sich vor jedem einzeln. Und dann betrachteten sie ihn wieder, diesmal mit erwartungsvoller Miene. Was denn?, wollte er sie am liebsten fragen. Was wollt ihr von mir?
    »Und Sie sind –?«, half ihm der Mann.
    »Oh!« Hiro stieß einen leisen Laut aus, in dem Verlegenheit und Überraschung lagen. »Wie dumm. Vergesslich. Ich bin –« Hier verstummte er. Wer war er? Er hatte ihnen doch gesagt, er sei aus China, oder? Chinese, Chinese, wie nannten sich Chinesen denn? Li, Chang, Wong? Zwei Blocks von der Wohnung seiner obāsan gab es ein China-Restaurant namens »Yi Mi Lu«, aber das klang ja lächerlich – er, Hiro Tanaka, Bannerträger für Mishima und dessen Vorbild Jōchō, er konnte sich doch nicht Yi Mi Lu nennen. Niemals.
    »Ja?« Sie beugten sich ihm entgegen, grinsend wie Zombies, alle drei, sie waren absolut entzückt, hier in diesem verregneten Höllenloch mit einem schlammverschmierten

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