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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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auch wirklich –, weil sie ihn zurücklassen mussten. Aber Hiro – oder Seiji, wie sie ihn ja nannten – würde bestimmt nicht vergessen werden, darauf hatte er Jeffs Wort.
    Ehe sie ablegten, sprang Jeff Jeffcoat noch einmal impulsiv aus dem Kanu heraus, streifte sich die Schuhe ab und reichte sie Hiro. »Hier«, sagte er, »ich hab noch zwei Paar im Rucksack, und Sie können sie viel besser brauchen als ich.« Hiro nahm die Schuhe mit einer Verneigung entgegen. Es waren Schuhe aus Segeltuch, von der Sorte, wie sie die blonden Surfer in der Bierreklame im japanischen Fernsehen trugen. Hiro streifte sie über und fühlte sich selbst wie ein Surfer in den abgeschnittenen Jeans und dem extraweiten T-Shirt, während Jeff Jeffcoat sich behutsam wieder ins Kanu setzte und es mit einem mächtigen Paddelstoß in Fahrt brachte. »Alles Gute«, rief er noch, »und keine Sorge: Spätestens zu Mittag werden sie hier sein und Sie abholen. Versprochen.«
    »Wiedersehen!«, schrie Jeff junior, schrill wie ein Vogel.
    Julie drehte sich um und winkte. »Auf Wiedersehn«, rief sie. Ihre Stimme klang genau wie Ruths und fuhr ihm kurz durch Mark und Bein. »Machen Sie’s gut.«
    Sie hatten ihm natürlich etwas zu essen dagelassen – sechs Sandwiches, einen Plastikbehälter, der mit Marshmallows, drei Pflaumen und zwei Birnen vollgestopft war, und eine Tüte Tortillachips von der Größe eines Wäschesacks, ganz zu schweigen von der Zwei-Liter-Flasche mit Orangenlimonade, mit der er das Zeug hinunterspülen sollte. »Danke«, rief Hiro ihnen nach, »danke ich vielmals«, während er sich fragte, ob sich wohl auch ein negatives on berechnen ließ, für Dinge, die man unterlassen hatte. Er war ihnen etwas schuldig, eine gewaltige Schuld – aber sie schuldeten ihm auch etwas. Er hatte sie nicht zu Tode geknüppelt, hatte ihnen nicht das Essen, das Kanu, die Paddel und Angeln und Holzkohlenbriketts geraubt. Wenn man es genau betrachtete, hatte er sich für sie geopfert – und war das etwa nichts?
    Er blieb noch lange auf der Plattform stehen und sah ihnen nach, wie sie sich durch den schmalen Kanal schlängelten, wobei ihre Paddel in perfektem Gleichklang eintauchten: Vater, Mutter und Sohn.

DAS TOR ZUR WILDNIS
    Es gab zwei Motels in Ciceroville, dem »Tor zur Wildnis des Okefenokee«, und beide waren auf dem Komfortniveau von Flüchtlingslagern, wie Detlef Abercorn die Sache sah. Das erste, »Lila’s Sleepy Z«, hatte eine Minigolfanlage mitten auf dem Parkplatz, und im Fenster des Cafés offerierte ein handgemaltes Schild ein Frühstück für 99 Cents, wobei man beliebig oft Kaffee und Hafergrütze nachbestellen könne. Es war total ausgebucht. Das andere Motel, das »Tender Sproats«, lockte den müden Reisenden mit einem Swimmingpool, der bis zum Rand mit etwas gefüllt war, das aussah wie Erbswurstsuppe. Abercorn dachte an die vielen Reklametafeln entlang des Interstate Highway 80, auf denen selbst gemachte Erbswurstsuppe angepriesen wurde, als wäre irgend jemand nach dem ersten Löffel noch scharf auf Erbswurstsuppe. Immerhin ein Fortschritt: Hier konnte man darin baden. Er zuckte die Achseln und fuhr auf den Parkplatz.
    Er hatte ohnehin nicht vor, allzu viel Zeit im Swimmingpool zu verbringen. Sein Job stand auf dem Spiel – seine ganze Karriere. Den le Carré, den Sechserpack Bier und das klimatisierte Hotelzimmer mit dem sanft flackernden Farbfernseher konnte er erst einmal vergessen. Ab jetzt würde es eher wie in einem Krimi von James M. Cain zugehen, eine Tasse Pissewasser mit einem Schuss Jod, viel Schweiß, Sonnenbrand und schmerzende Gelenke. Am frühen Morgen hatte er einen Anruf von Nathaniel Carteret Bluestone bekommen, seinem Vorgesetzten vom INS -Regionalbüro in Atlanta. Es war wirklich früh gewesen, halb sieben. Um 6.30 Uhr war er nie besonders gut in Form, aber in dieser Nacht hatte er sich bis nach zwei auf der Insel herumgetrieben, mit Turco und dem Sheriff und etwa sechshundert hechelnden Hunden die lauwarme Spur von Hiro Tanaka verfolgt, und als er den Hörer abgehoben hatte, war er so kaputt gewesen, dass er kaum noch denken konnte.
    N. Carteret Bluestone hatte wissen wollen, was sich Spezialagent Abercorn eigentlich dabei dachte, die Einwanderungsbehörde zum Gespött zu machen. Ob er die Morgenzeitungen schon gelesen habe? Nein? Nun, vielleicht werde er diese Lektüre ganz informativ finden. Der Japse – der Japaner, korrigierte sich Bluestone – war plötzlich auf allen Titelseiten. Abercorn

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