Der Samurai von Savannah
Raunen, und es wurde wieder lauter geklatscht, noch lauter als zuvor – als müsste man sich schon gratulieren, dass sie geruhte, vor so schlichten Sterblichen überhaupt zu erscheinen –, und da war sie, Jane Shine kam durch die offene Glastür auf die Veranda gerauscht.
Ihr Haar – dieser unwahrscheinliche, schimmernde, elektrisch aufgeladene Bausch von tanzendem Flamencohaar – türmte sich so hoch auf ihrem Kopf, dass Ruth unwillkürlich an die Wachablösung vor dem Buckingham-Palast denken musste. Ganz in Schwarz gekleidet – wieder eins dieser pseudoviktorianischen Kleidchen mit hohem Kragen, in denen sie ständig herumstolzierte wie eine verirrte Prinzessin –, ging sie ruhig und entschlossen durch die Menge, die Lippen leicht zusammengekniffen – o ja, dies war eine ernsthafte Angelegenheit, es war ein großer Auftritt –, sie blickte starr geradeaus, der Rücken kerzengerade, ihre Schritte klein und zart, die gezierten kurzen Trippelschritte eines kleinen Mädchens auf dem Weg zur Schule. Flamencohexe, viktorianische Prinzessin, Schulmädchen, wem wollte sie eigentlich was vormachen?
Das Licht brachte ihr Gesicht perfekt zur Geltung, grandios – selbst Ruth musste das zugeben. Der Strahler direkt über ihr brachte ihr Haar zum Glühen, ließ es zum Strahlenkranz, zum Diadem werden, zu einem glitzernden Bündel aus Licht und Glanzlicht, während die zweite, weichere Lampe ihre außerirdischen Augen aufleuchten ließ und ihre üppigen Lippen – geschwollen wie von Bienenstichen – von unten weichzeichnete. »Kollagenspritzen«, flüsterte Ruth zu Brie hinüber, aber Brie war wie hypnotisiert von dem Schauspiel Jane Shine, von La Shine, die sich bis an die Spitze hinaufgebumst hatte, und achtete gar nicht auf Ruth. Jane verbeugte sich. Dankte Septima. Dankte dem Publikum. Dankte Owen und Rico und Raoul von Soundso für Ton und Beleuchtung, und dann fixierte sie die Zuhörer und hielt sie, in absoluter Stille, volle dreißig Sekunden in ihrem Bann.
Und dann fing sie an, ohne jede Einführung, ihre Stimme klang so natürlich und mit dem Mikrofon vertraut, ganz anders als bei Septima. Diese Stimme war eine Liebkosung, ein Flüstern, etwas, das einen einnahm und nicht wieder losließ. Die Erzählung, die sie las, handelte von Sex, natürlich, aber der Sex war in eine ausgefeilte, barocke Bildersprache verpackt, in der es selbst zur hohen Kunst wurde, wenn sich jemand die Zehennägel lackierte oder eine Monatsblutung bekam. Nach drei Zeilen war Ruth klar, dass es sich keineswegs um einen in Arbeit befindlichen Text handelte – es war eine Erzählung, die Jane vor zwei Jahren veröffentlicht und dann nochmals für ihre erste Anthologie überarbeitet – umgearbeitet – hatte. Es war etwas Fertiges. Etwas Altes. Nichts aus dem »demnächst erscheinenden« Roman oder gar ein paar Seiten von dem, was sie angeblich hier produziert hatte. Stattdessen gab sie eine Vorstellung, gab einen fertigen Text zum Besten, den sie schon Gott weiß wie oft in den Hörsälen von Notre Dame in Indiana, von Iowa State oder NYU gelesen hatte. Ruth war so empört – so angewidert, aufgestachelt und ganz einfach stinkwütend –, dass sie beinahe aufgestanden und gegangen wäre. Aber das konnte sie natürlich nicht tun. Wenn sie es täte, würden alle denken, sie sei, nun ja, neidisch auf Jane Shine oder so – und das durfte sie auf keinen Fall zulassen. Niemals. Es wäre schlimmer, als mitten in der afrikanischen Steppe zerfleischt zu werden, über sich kreisende Geier und aus dem Busch das Lachen der Hyänen.
Also blieb sie sitzen, innerlich kochend. Orlando Seezers ließ ein dröhnendes, überlautes Lachen erschallen, sobald Janes Erzählung so etwas wie Humor versuchte, und gegen Ende, als sich die zwei unglücklich verliebten Vierzehnjährigen gegenseitig die Zehennägel lackierten, ehe sie für immer voneinander schieden, musste Mignonette Teitelbaum ihm die Hand halten, sonst hätte er laut losgeheult. Jane war völlig schamlos. Nicht nur spielte sie ihrem Publikum eine billige Show vor, tobte wie eine Wahnsinnige und schob sich immer wieder eine sorgfältig zurechtgelegte Strähne aus dem Gesicht, sie fiel sogar in einen schwedischen Akzent, als hielte sie sich für Meryl Streep oder so (der Junge aus ihrer Geschichte war Schwede, ein nordischer Halbgott in kurzen Hosen; das Mädchen war natürlich eine Naive aus Connecticut, mit dem Haar einer katalonischen Schafhirtin und außerirdischen Augen). Als sie fertig
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