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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Karamellsoße oder Teer gefangen, als stünde sie bis zum Hals in den La Brea Pits.
    Direkt hinter ihr stand Septima, deren Gesichtsausdruck die Gefühlsskala auf und ab kletterte. Keine drei Meter dahinter wiegte Jane Shine, eine königliche Figur, Hüften und Schultern elegant im pulsierenden Rhythmus des Motown-Funk, das Gesicht unter dem sich auftürmenden Tschako wie in einen Schraubstock eingespannt. Zwischen den beiden Frauen hatte sich der Ring von Speichelleckern und Scharwenzlern geöffnet wie ein Empfangsspalier. Alle Blicke lagen auf Ruth.
    Jane kam immer näher. Als sie an Septimas Seite stand, reckte sie sich. »Ja«, sagte sie, und auf ihrer Stimme hätte man Grillfleisch aufspießen können, »und wir werden bestimmt alle die Luft anhalten, bis du dich da vorn hinsetzt, La Dershowitz « – sie spie den Beinamen aus, als hätte sie sich die Zunge daran verbrannt, dann machte sie eine Pause, um Kräfte zu sammeln. »Das heißt, falls du überhaupt etwas zum Vorlesen hast – aber das wirst du doch, oder? An irgend etwas musst du ja die ganze Zeit über gearbeitet haben.«
    Ruth wusste nicht, was sie tun sollte. In ihrem Kopf tanzte Marvin Gaye, alle Gesichter im Raum waren ihr zugewandt. Instinktiv hätte sie am liebsten zugeschlagen, ihre geballte weiße Faust in diese außerirdischen Augen gerammt, ihr den Spitzenkragen vom Hals gerissen, die Frisur ruiniert und sie als die berechnende, jederzeit die Beine breit machende Literaturhure beschimpft, die sie war, aber sie zögerte und verlor die Gewalt über den Augenblick. Ihre Gesichtsmuskeln zuckten. Ihr Hirn lief auf Hochtouren. Alle – ohne Ausnahme – warteten sie auf ihre Reaktion.
    »Ruthie« – Septima ergriff ihre Hand und plauderte drauflos, als wäre nichts geschehen, als hätte dieses kalte, untalentierte Miststück sie nicht eben öffentlich herabgewürdigt und gedemütigt, den Bienenkorb zerschlagen und die Königin abgestochen –, »Ruthie, meine Liebe, wir – also, Orlando und Mignonette, Laura und ich – wir haben gerade darüber geredet, wie schön wir es fänden, wenn du auch einmal etwas aus deiner Arbeit lesen würdest, und du weißt ja, genau wie alle anderen hier, dass wir von unseren Gästen zwar weder Kost noch Logis verlangen, aber dennoch gelegentlich gern das Vergnügen genießen, eine Entschädigung anderer Art zu erhalten …« Sie blickte zur Decke empor, als wäre diese durchsichtig, auf ihren Lippen lag ein entrücktes Lächeln. »Was haben wir in diesem Raum schon alles hören dürfen …«
    Eine Herausforderung, das war es. Das war der Schlag ins Gesicht, der vor die Füße geschleuderte Handschuh. Sie hatte unauffällig im Hintergrund bleiben und Jane für heute das Feld überlassen wollen, hatte sie mit List und Andeutungen befehden wollen, aber es war ihr misslungen. Ihr Herz schlug heftig, ihr Blick musste wild funkeln, aber sie kannte ihren Text, o ja, allerdings. »Septima«, sagte sie absolut ruhig und fest, und dabei sah sie in diese alten milchig-grauen Augen, als wären es die einzigen Augen im ganzen Raum, als stünde Jane Shine nicht dreißig Zentimeter rechts von ihr, als existierte diese andere Person gar nicht, weder jetzt noch irgendwann, sondern als handelte es sich um ein privates Tête-à-tête mit der Frau, die ohne Weiteres ihre zukünftige Schwiegermutter sein konnte, »es wäre mir eine Ehre.«
    Die Doyenne von Thanatopsis House lächelte noch breiter, sodass ihre schmalen alten Lippen sich anspannten. »Wie wär’s mit morgen Abend?«, fragte sie, und ein Fünkchen von Leben flackerte in den Tiefen ihrer sterbenden Augen auf.
    Ruth nickte.
    »Selbe Zeit wie heute?«
    Marvin Gaye: was sang er da? Ain’t no mountain high enough / Ain’t no river deep enough. Ruth atmete tief durch. »Sicher«, sagte sie, »kein Problem.«
    Am Morgen verfluchte sie sich. Wie hatte sie so dumm sein können? Warum hatte sie sich auf so blödsinnige Art überrumpeln lassen? Jane Shine. Sie wünschte ihr einen frühzeitigen Tod, wünschte ihr Hängebrüste und eitrigen Aussatz, sie wünschte, sie würde platzen wie der aufgeblasene Frosch in Äsops Fabel.
    Aber Wünsche bringen einen nicht weiter.
    Ruth saß schon schwer arbeitend in ihrem Studio, noch ehe irgendwer im Großen Haus auch nur die leiseste halb bewusste Vorahnung vom Anbruch der Morgendämmerung hatte und an Frühstück, Arbeit und die sachte, wundersame Enthüllung des Tages dachte. Sie arbeitete mit einer Leichtigkeit und Konzentration, die sie

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