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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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waren, als käme man zu »Shakespeare unterm Sternenzelt« zusammen. Drei Minuten auf einem dieser Stühle waren wie eine Stunde auf der Folterbank. Es war eine Frechheit. Was bildete sie sich ein?
    Ruth kam mit Brie auf die Veranda, gerade als Septima nach vorne trat, um Jane vorzustellen. Sie verzichtete darauf, neben Sandy, Ina und Regina zu sitzen, und suchte sich lieber den Platz direkt hinter Mignonette Teitelbaum und Orlando Seezers aus, der mit seinem Rollstuhl am Rand der Stuhlreihe platziert war. Nach einer Salve von leise geflüsterten Hallos und etlichen nachdrücklichen, misslaunigen Schlägen nach den Moskitos setzte sich Ruth und betrachtete La Teitelbaum von hinten. Vögelten sie miteinander? Hing ganz davon ab, in welcher Höhe die Wirbelsäule verletzt worden war, oder? Teitelbaum machte sowieso nicht allzu viel her. Sie war nur ein paar Jahre älter als Ruth, aber man sah ihr ihr Alter an – und ihr Haar sah aus wie das Zeug, mit dem man Versandkisten auspolstert, wie hieß das doch gleich? Sogar im Nacken hatte sie Falten. Nicht nur Falten, nein: Furchen, Rillen, tiefe Gräben, in denen man halb versank.
    Ruths Gedankenflug wurde von Septimas elektrisch verstärkter Stimme unterbrochen – ein Mikrofon, sie benutzte ein Mikrofon, um Himmels willen! Niemand hatte hier je ein Mikrofon benutzt, und jetzt, nur wegen Jane Shine, sprach Septima – die Gründerin und Kraftquelle von Thanatopsis House, die Hüterin von Geschmack und Tradition – durch ein Mikrofon. Es war widerlich. Ein Verrat an allem, wofür Thanatopsis stand. Ruth begriff nicht, wie die anderen dabei sitzen bleiben konnten, als wäre nichts geschehen, als hätte das Ganze, der Verstärker und die Light-Show, etwas damit zu tun, dass eine Autorin einen Text las, den sie gerade in Arbeit hatte. Ruth spürte, wie ihre Kopfhaut sich unter den Haarwurzeln zusammenzog. »Wie lächerlich«, zischte sie Brie zu, während Septimas Singsang über die Baumwipfel erscholl.
    Brie wandte sich ihr zu, ganz verzückt, ihr Gesicht ausdruckslos wie das einer Kuh, ihre wässrigen Augen weiteten sich unter ihren Kontaktlinsen. »Was redest du da?«, zischte sie zurück. »Ich finde es – es ist märchenhaft. «
    »… mir eine große Ehre und ein besonderes Vergnügen«, verkündete Septima gerade. Sie hielt das Mikrofon gepackt, als wäre es eine Kobra, die sie in ihrem Bett entdeckt und aus lauter Verzweiflung umklammert hatte. Ruth sah in ihren Augen Saxbys Augen, in ihrer Nase Saxbys Nase, vom Alter spitz geworden. Sie trug ein hellbraunes Leinenkostüm, beigefarbene Pumps, dazu die Perlenkette, die sie nie abzulegen schien, und beim Friseur war sie auch gewesen. »Ein ganz besonderes Vergnügen, Ihnen eine außergewöhnlich begabte junge Schriftstellerin vorzustellen, die Autorin einer preisgekrönten Sammlung von Erzählungen und eines Romans, der demnächst bei« – hier stockte Septima und blinzelte auf eine Karteikarte, die sie elegant in der feinen geäderten Hand hielt –, »bei« – sie nannte einen großen New Yorker Verlag, und Ruth fühlte, wie sie vor Hass und Eifersucht die Zähne zusammenbiss. »… die jüngste Gewinnerin, wie ich höre, der renommierten Hooten-Warbury-Goldmedaille für Literatur, die alljährlich in England für den besten ausländischen Roman vergeben wird, und des ebenso renommierten –«
    Ruth wollte sie innerlich ausblenden, aber die Lautsprecher vereitelten diesen Versuch: Septimas schallende Lobesworte hallten in ihrer Brust, ihrer Lunge, ja in ihren Eingeweiden wider und vibrierten dort wie in einem Resonanzkörper. Dann ging Septima daran, Jane mit nahezu jeder Schriftstellerin in der Geschichte zu vergleichen, von Mrs. Gaskell über Virginia Woolf und Flannery O’Connor bis zu Pearl S. Buck, wobei sie den Begriff »renommiert« wie einen Zahnarztbohrer einsetzte. (Sie musste ihn mindestens an die zwanzigmal benutzt haben – bei fünf hatte Ruth zu zählen aufgehört.) Und dann, endlich, nach einer halben Ewigkeit, kam sie mit dem Enthusiasmus eines Jahrmarktschreiers zum Finale: »Meine Damen und Herren, liebe Künstler und Thanatopsianer« – ja, sie sagte doch tatsächlich Thanatopsianer –, »hier ist Jane Shine.«
    Rauschender Beifall. Ruth fühlte sich elend. Aber wo war sie? Wo war La Shine? Jedenfalls saß sie nicht still in der vordersten Reihe oder stand bescheiden neben dem Mikrofon. Alle im Publikum reckten den Hals, der Applaus wurde leiser. Aber dann, mit einem Mal, erhob sich ein

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