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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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sprang.« Abercorn antwortete nicht. Er behielt das Pflanzengewirr, in dem Turco verschwunden war, fest im Blick, dann setzte er sich in Bewegung, so behutsam, wie man es von einem ein Meter fünfundneunzig großen Albino in hüfthohen Stiefeln erwarten konnte. Dotson zuckte die Achseln und folgte ihm.
    Nichts rührte sich. Der Wald lag still im Würgegriff der Hitze. Der Vogel kreischte erneut auf, es klang grässlich einsam und als wäre er an einer lebenswichtigen Stelle verletzt. Abercorn richtete den Blick auf ein Astgewirr direkt vor ihm, die Stiefel grunzten und quietschten unter seinen schweißnassen Füßen. Er stieg über den Stumpf eines gefällten Baums, dann über einen zweiten. Moskitos ließen sich auf seinen Armen, dem Gesicht, den Handrücken nieder, aber er gab sich keine Mühe, sie zu verscheuchen.
    Und dann kam, worauf er gewartet hatte: ein Schrei. Er zerriss die Stille, ein einziger, irrer, abgehackter Schrei der Überraschung, der aufstieg und die Hitze in den Bäumen gefrieren ließ. Plötzlich rannten sie beide, und nichts war mehr wichtig außer den fauchenden Stimmen, dem knirschenden Krachen von Ästen und dem Geräusch eines Handgemenges im Unterholz. Der Japse!, dachte Abercorn, Turco hat den Japsen gekriegt! In seiner Aufregung lief er Roy Dotson davon, seine Beine arbeiteten, die Stiefel knatterten wie Segel in starkem Wind. Da! Direkt vor ihnen: ein Zelt – wie hatte er es übersehen können? –, ein Kreis aus rußigen Steinen, ein in den Bäumen aufgespanntes Fischernetz. Wieder ein Schrei. Fluchen. Und dann war er da, stolperte über die kalte Feuerstelle, während die Gestalten von Saxby und Turco sich aus der Tarnung von Gebüsch und Palmendickicht schälten.
    Sie wälzten sich ineinander verschlungen auf dem Boden, ihre Beine traten wild ins Grüne. Turco lag auf Saxby, obwohl Saxby ihm um fünfzehn Zentimeter und zwanzig Kilo überlegen war. »Lass mich … los!«, brüllte Saxby, aber Turco hatte ihn mit irgendeinem Geheimkommando-Griff festgenagelt, presste sein Gesicht in die feuchte Erde, in einem Sonnenstrahl blitzten Handschellen auf. »Lewis!«, rief Abercorn, aber schon riss Turco die Arme des großen Mannes auf den Rücken und ließ die Handschellen klicken. »Lewis, was zum Teufel –?« Abercorns Stimme überschlug sich. Alles lief völlig falsch. So hätten die Dinge sich nicht entwickeln sollen …
    »Detlef, sind Sie verrückt?« Wütend wehrte sich Saxby unter Turco, auf seiner Wange schimmerte ein rötlicher Strich aus Dreck wie eine Wunde. »Schaffen Sie mir den Typ vom Hals!«
    Aber Turco hatte ihn, und er würde ihn nicht loslassen. Er hockte auf ihm wie ein Gnom, das Knie in Saxbys Lendenwirbelsäule gerammt, die linke Hand fest in seinen Nacken gepresst. »Maul halten«, sagte er, und jetzt war seine Stimme richtig gelassen, ein bisschen Adrenalin schwang darin mit. »Du bist verhaftet, Arschloch.«

BILLIGE SENSATIONEN
    Alle anderen hielten ihre Lesungen einfach im vorderen Salon ab, unter dem antiken Kronleuchter aus Messing, ganz informell und bequem; bei normalem Licht machte man es sich in den Sesseln gemütlich oder streckte sich wohlig auf dem Teppich aus. Es gab Kaffee, Sherry und immer irgendetwas Süßes – Napfkuchen oder Kekse, oft von Septima selbst gebacken. Es war heimelig, gefahrlos, eine Arena, in der jeder – ungeachtet von Status und Bekanntheitsgrad außerhalb dieses Raums – den Text, an dem er gerade arbeitete, in intimer, sicherer Atmosphäre präsentieren konnte. Wenn es überhaupt ein übergeordnetes Motto gab, dann war es »Anti-Performance«. Man stellte sich einfach hin und las. Keine Tricks, keine Spielerei, kein Theater. Man las mit sachlicher, unaufdringlicher Stimme und ließ das Werk für sich sprechen – alles andere wäre unpassend gewesen, eine Vergewaltigung der ungeschriebenen Gesetze und eine Brüskierung der Künstlerkollegen. Mit einem Wort: taktlos. Auf jeden Fall las man im vorderen Salon, unter dem Kronleuchter. Alle hielten es so.
    Das heißt alle bis auf Jane Shine.
    Tja. Jane musste ihre Lesung draußen auf der Veranda in pechschwarzer Nacht abhalten, im Schein eines steil von oben auf sie gerichteten Punktstrahlers, während aus den Azaleenbüschen eine zweite, theatralischere, diffusere Lichtquelle ihre Zigeunerinnenzüge zur Geltung brachte. Ruth konnte es nicht fassen. Die Künstler wurden nach draußen getrieben und gezwungen, auf Klappstühlen Platz zu nehmen, die in sauberen Reihen aufgestellt

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