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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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war, herrschte benommene Stille, dann rief jemand – war es Irving? –: »Ja!«, und der Applaus ging auf sie nieder wie ein Erdrutsch. Brie hatte Tränen in den Augen, und das würde ihr Ruth nie verzeihen. Sandy pfiff durch die Zähne und klatschte in die Hände, bis sie ganz rot waren, und auch ihm würde Ruth niemals verzeihen.
    Der Empfang danach war eine dieser Gelegenheiten, die man eben durchstehen musste. Am allerwenigsten Lust hatte Ruth darauf, herumzustehen und Jane Shine zu gratulieren, aber im Grunde blieb ihr keine Wahl. Wenn es hart auf hart ging, konnte sie natürlich ein Gesicht aufsetzen und Theater spielen, kein Problem. Klar, sie fand Jane Shine prima. War mit ihr auf der Uni gewesen. Wünschte ihr alles Gute. Nicht wahr?
    Wenn es nur so leicht gewesen wäre.
    Jemand hatte eine Kassette mit alten Motown-Hits eingelegt – Marvin Gaye, Martha and the Vandellas, The Four Tops –, und beinahe hätte sich Ruth von dem Rhythmus anstecken, hätte sich gehen lassen, bis ihr klar wurde, dass diese Musik für Jane war, die sich in einer der letzten Ausgaben von Interview mit Lobhudeleien für den Motown-Stil hervorgetan hatte. Ein Exemplar der Zeitschrift war wie von Zauberhand gerade eben auf einem der Couchtische im Salon aufgetaucht. O ja, Jane habe Motown als kleines Mädchen praktisch miterlebt – als sehr kleines Mädchen natürlich, im Kindergarten, oder war sie schon in die erste Klasse gegangen? Es sei der Rhythmus und, nun, es lasse sich nicht genau sagen, der Soul eben, der diese Musik so großartig mache. Und genau dieses Gefühl versuche sie auch beim Schreiben zu vermitteln, obwohl sie natürlich niemals an »Papa’s Got a Brand New Bag« oder »My Ding-a-Ling« herankommen könne, aber es liege darin etwas so Ursprüngliches, Sinnliches, ein je ne sais quoi , das auch sie erreichen wolle. Ruth hatte den Artikel heimlich gelesen. Ihr war das Essen hochgekommen.
    Nachdem der Applaus verklungen war, war Ruth mit Brie zu der Party hinübergewandert – Owen hatte die Feier nach drinnen verlegt, wegen der Insekten, aber die Glastüren auf die Veranda standen offen, und die Lautsprecher blieben angeschlossen, falls irgend jemand den fleischlichen Bann von Janes Lesung mit einer lendenreibenden, hüftschwingenden Tanzeinlage brechen wollte. Ruth hatte dies nicht vor. Sie plante, relativ unauffällig zu bleiben – eine Persönlichkeit, das durchaus, immerhin war sie La Dershowitz, der Star der dramatischen Szene auf der Veranda vom Vorabend, regierende Bienenkönigin und Drahtzieherin des Hiro-Tanaka-Abenteuers –, eine im Hintergrund dräuende Gestalt, gewiss, aber nicht der Angelpunkt des Geschehens. Nicht heute Abend. Brie begann, den Kopf zur Musik zu wiegen, dann kippte sie einen Drink, und bevor Ruth sie aufhalten konnte, brabbelte sie über die Lesung. »So etwas hab ich noch nie erlebt«, stieß sie atemlos hervor, »das war einfach unwahrscheinlich, irrsinnig, das war die beste Geschichte, die ich je gehört habe. Die beste Lesung , die ich je gehört habe. In meinem ganzen Leben. Echt.«
    Brie glotzte sie an, mit leerem Blick und offenem Mund, ein kleines Schnurrbärtchen von bleichem Schweiß bebte über ihrer Oberlippe. Ruth blieb vollkommen ruhig. »Blödsinn«, schnappte sie. »Billige Theatralik war das, sonst nichts. Das nennst du eine Lesung? Das nennst du andere an einem in Arbeit befindlichen Text teilhaben lassen? Ich nenne es eine Schmierenkomödie für die Galerie. Ich nenne es eine Beleidigung.«
    Brie wirkte betäubt und etwas ratlos; sie wusste nicht, wohin mit ihren Händen.
    »Und die Erzählung selbst« – Ruth warf ihr einen vernichtenden Blick zu –, »billigste Melodramatik. Ich bitte dich: vierzehnjährige Schweden, das ist doch das Letzte.«
    »Ru-thie« – zwei knappe Silben in warnendem Tonfall, energischer Nachdruck auf der ersten, ein leises, nachklingendes Zungenschnalzen am Ende der zweiten –, »das meinst du doch wohl nicht im Ernst, oder?« Irving Thalamus war plötzlich direkt neben ihr aufgetaucht. Er trug ein grün-gelbes Hemd, das am Hals weit offen stand und den wirren schwarzen Dschungel seiner Brustbehaarung freilegte. Abrupt wurde Ruth klar, dass dies das passende Oberteil zu den Bermudashorts war, die sie für Hiro geklaut hatte. Irving lächelte sie an, die Lippen schmal und sarkastisch verzogen, es war ein Lächeln, das in seinen Mundwinkeln hängen blieb und sie zum Widerspruch aufstachelte.
    Brie schluckte nach Luft, als träte sie

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