Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
Vom Netzwerk:
die Kraft in sich zurückkehren.
    Sie stand vom Schreibtisch auf und sammelte ihre Sachen zusammen, schob die blütenweißen, frisch getippten Seiten in einen alten, bescheidenen Umschlag. Im Zimmer war es ganz still. Die Sonne schien zum Fenster herein. Zum ersten Mal an diesem Tag bemerkte sie die Vögel, die draußen durch die Schatten flitzten, sich im Gebüsch niederließen, nur für sie sangen. So stand sie am Fenster, mit dem Rücken zur Tür, rauchte eine letzte Zigarette, bevor sie zurückgehen und sich zurechtmachen wollte, als ein plötzliches Geräusch von der Veranda sie zusammenzucken ließ. Sie fuhr herum und erwartete, Parker Putnam nach irgendeinem vergessenen Werkzeug suchen zu sehen, doch dann traf es sie wie ein Schock: Es war nicht Parker Putnam. Es war Septima.
    Septima. Ruths erster Gedanke war, dass sie sich vielleicht verlaufen hatte, ein peinlicher, altersbedingter Irrtum, aber der Blick in den Augen der betagten Dame belehrte sie eines Besseren. Septima blieb auf der Schwelle stehen, spähte schmallippig und mit prüfendem Blick in das Studio hinein, neben ihr stand Owen. Sie trug ihre Gartenkleidung – einen Sonnenhut aus Stroh, einen alten Kittel, Jeans und Männerschuhe. »Ruthie«, begann sie, und ihre Stimme klang hart und gepresst, »ich störe dich hier nur ungern, aber ich – darf ich hereinkommen?«
    Ruth war so überrascht, dass sie nicht antworten konnte – Septima hielt sich an die eiserne Regel, aus Respekt für die Privatsphäre der Künstler niemals eins der Studios aufzusuchen, außerdem war es für eine Frau ihres Alters ein weiter Weg nach »Hart Crane«. Wortlos durchquerte Ruth das Zimmer und öffnete schwungvoll die Tür.
    Etwas stimmte nicht. Sie sah es Owens Gesicht an, sah es an der Art,wie Septima ihrem Blick auswich, als sie an ihr vorbeiging und sich in einem Schaukelstuhl niederließ. »Puh!«, stieß die alte Dame aus, »diese Hitze! Ich werd mich nie daran gewöhnen, ich schwör’s. Hättest du bitte ein Glas Wasser für mich, Ruthie?«
    »Natürlich«, sagte Ruth und goss auch gleich ein Glas für Owen ein, der in der Tür stehen geblieben war, als hätte er nie wirklich vorgehabt einzutreten. »Danke, Ruth«, sagte er und leerte das Glas auf einen Zug. »Ich werde mir mal von draußen den Schaden ansehen«, bemerkte er zu niemandem im Besonderen und stellte das Glas auf dem Fensterbrett ab. Mit einem Blick auf Septima fügte er hinzu: »Sie rufen dann, wenn Sie mich brauchen.«
    Als Owen gegangen und die Fliegentür mit einem leisen Klappen zugefallen war, hob Septima den Kopf und musterte Ruth lange und nachdenklich. In der unbewegten Luft hing schwer ein Vorgefühl von Regen. Die knisternden, knackenden Geräusche des Waldes strömten herein und erfüllten die Stille. »Wie ich sehe, ist Parker da gewesen«, sagte Septima schließlich.
    Ruth nickte. »Ja, er hat hier den ganzen Tag herumgehämmert – aber es hat mich kaum gestört, eigentlich gar nicht. Ich war ganz in meine Arbeit vertieft.«
    »Furchtbar«, seufzte Septima, und Ruth pflichtete ihr bei, obwohl ihr unklar war, was die alte Dame nun meinte – Parker Putnams schwache Leistung, das Wetter, die Gefahren, die einem drohten, wenn man sich zu sehr in die Arbeit vertiefte? »Wirklich furchtbar, wie sie dieses Haus zerschossen haben, Theron Peagler und all die anderen. Ein bisschen mehr Verstand sollten sie eigentlich haben. Und wie sie diesen armen Japanerjungen gehetzt haben –«
    Wieder nickte Ruth. Und wieder hüllte sich die alte Dame in Schweigen. Draußen pfiff ein Vogel rasch hintereinander vier Töne der Tonleiter, auf und ab, auf und ab.
    »Ruthie«, sagte Septima nach einer Weile, »ich störe dich nur äußerst ungern hier draußen, vor allem in einem Moment, wo du bestimmt gerade hart arbeitest, um dich für deine Lesung vorzubereiten, aber es hat sich eine Sache von höchster Bedeutsamkeit ergeben.«
    Ruth war in dem kleinen Zimmer hin und her gegangen, auf eine unbewusst defensive, trotzige Art, jetzt aber ergriff sie die Armlehnen des zweiten Schaukelstuhls und ließ sich darin so behutsam nieder, als könnte jeden Moment ein Stromschlag von 50.000 Volt hindurchfahren.
    »Ich wollte dich etwas wegen dieses Japaners fragen – und ich will, dass du mir die volle Wahrheit sagst. Für die Kolonie wird diese Geschichte allmählich peinlich, vor allem seitdem der Junge wieder ausgebrochen ist – unser Telefon klingelt pausenlos, Ruthie, da melden sich Reporter aus New York und Los

Weitere Kostenlose Bücher