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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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schlug einen gleißenden Bogen über die Straße. Er blickte nach links und erwartete Scheunen und Silos, Reihenhäuser, Straßenlampen und Taxis, aber da war nichts als der Asphalt und Bäume; er blickte nach rechts und sah auch nur Asphalt und Bäume. Eine Weile blieb er stehen, wie angewurzelt vor Unentschlossenheit. Dann warf er eine imaginäre Münze und machte sich nach rechts auf den Weg, wagte es jedoch nicht, auf der Straße selbst zu gehen, sondern schlug sich durch das Dornen- und Windendickicht in dem parallel laufenden Graben. Er hatte keinen Plan, die ganze Zeit über hatte er keinen gehabt, jedenfalls nicht seit seinem Zusammenstoß mit Chiba und Unagi. Da war die ganz vage Idee, sich landeinwärts zu halten, in Richtung New York oder Miami oder San Francisco, wo er sich in den Massen von gaijin -Bastarden verlieren, wo er, zum ersten Mal in seinem Leben, wie alle anderen sein konnte. Aber Geografie – amerikanische Geografie jedenfalls – war nicht eben eine seiner Stärken. Er wusste wohl, dass die Hafenstadt Savannah in Georgia lag und dass Georgia zu den Südstaaten gehörte, wo die Neger Baumwolle ernteten und von den hakujin gezwungen wurden, eigene Toiletten und Trinkbrunnen zu benutzen, aber er hatte keine Ahnung, in welcher Richtung »Bean Town« Boston oder »The Windy City« Chicago lagen, und er konnte auch unmöglich wissen, dass er auf einer Insel gestrandet war, dass der einzige Weg aufs Festland über Ray Manzanars Fähre führte und dass Ray Manzanar mit der halben Inselbevölkerung verwandt und mit der anderen Hälfte ebenso gut bekannt war wie mit der eigenen Mischpoke. In barmherziger Unkenntnis all dessen, schwach vor Hunger und zu matt, auch nur die Hand zu heben, um die Horden von Moskitos zu verscheuchen, die ihn bedeckten wie eine zweite Haut, kämpfte Hiro sich weiter.
    Nach einer Weile erhellte sich das Dickicht vor ihm mit Sonnenlicht, und das verschlungene Geäst wurde merklich lichter. Er hielt inne, bis zu den Knöcheln im trüben Wasser des Grabens stehend, und spähte durch eine Ritze in der Mauer der Vegetation. Dort vorn, ein Stück zu seiner Linken, war etwas Naturfremdes, rot und grell und tröstlich vertraut. Er ging näher heran. Was er sah, ließ sein Herz vor Freude hüpfen. Direkt vor ihm, im Fenster eines frisch gestrichenen Schindelhauses neben der Straße, sprach ein zauberisches, verführerisches Neonschild in einer universellen Sprache zu ihm: COCA-COLA , verkündete es, COCA-COLA , und er wurde fast ohnmächtig bei dieser Epiphanie für die Magensäfte.
    Er stolperte vorwärts, jenseits von Vernunft und Verstand, ebenso überwältigt wie damals in der Negerhütte vom Aroma der schicksalhaften Austern, bis er sich im letzten Augenblick zurückhielt. Mit einem Ächzen ließ er sich niedersinken und kauerte sich tief in den Graben. Er sah ziemlich übel aus. Die gestohlenen Kleider hingen in Fetzen, er stank, als wäre er seit einer Woche tot, er starrte vor Schmutz und war an tausend Stellen zerschrammt und zerkratzt. Und dann sein Gesicht – er war Japaner, zur Hälfte jedenfalls, und das würden sie in der ersten Sekunde bemerken, und sie wüssten sofort, wer er war und was er getan hatte, und dann würde die Polizei kommen, er würde ins Gefängnis geworfen und von den Mischlingen und Kinderschändern und Vatermördern misshandelt, die in den dunklen Zellen der gaijin wie Schimmelpilz gediehen. COCA-COLA , lockte das Schild, COCA-COLA . Aber was konnte er tun?
    Vorsichtig kroch er aus dem Graben und ließ sich in ein Büschel hüfthohes Gras fallen. Niemand war in Sicht, kein Auto stand auf dem Kies des Parkplatzes, und von seinem Standort aus sah er, dass die Tür des Ladens weit offen stand. Er musste sich säubern, musste sich irgendwie verkleiden, und dann musste er hineingehen und das Geschäft leer kaufen, bevor jemand auftauchte. Ja. Genau. Er würde sich den Dreck von den Kleidern waschen, so gut er konnte, und von den Füßen auch. Aber als er auf seine Füße und Waden hinabsah, bemerkte er, dass sie fast schwarz von seltsamen, formlosen, klebrigen Dingern waren – sie sahen aus wie Nacktschnecken. Von Blutegeln hatte er noch nie gehört, und er wusste nicht, dass sie sein Blut aussaugten – oder vielmehr, dass sie einen gerinnungshemmenden Stoff absonderten, sodass sein Herz das Blut direkt in sie hineinpumpte, als wären es Anhängsel seiner Venen und Arterien –, noch war ihm klar, dass er riskierte, beim achtlosen Abstreifen dieser

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