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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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setzte in den Wald davon, in wilder, verzweifelter, rasender Flucht. Er blieb nicht stehen, zögerte nicht, obwohl der Butterstinker hinter ihm her auf den Parkplatz rannte und ihm nachschrie: »He! Warte doch! Komm zurück! Ich will ja gar nicht … ich-will-dir-doch-nur-helfen!«
    Mir helfen?, dachte Hiro, dem das Blut in den Ohren sauste, als er sich in den Graben hechtete und durch die Brühe in den hüfthohen Morast wartete, in den Schutz der Bäume. Ja, sicher, mir helfen. Er kannte sie, die Amerikaner. Brachten sich gegenseitig beim Abendessen um, schossen zum Spaß aufeinander, schlugen alte Damen auf der Straße nieder.
    Eine solche Hilfe brauchte er nicht.

DAS BIEDERSTE VOLK DER WELT
    Es gab gar keinen Zweifel. Er würde selbst hinfahren müssen. Nicht dass er große Lust dazu hatte. Nicht die geringste. Der Gedanke an eine Fahrt nach Tupelo Island bei dieser Hitze – noch dazu wo die Klimaanlage seines Autos kaputt war –, um dort dann im schwülen Dunst herumzustehen und einen Haufen von inzüchtigen, tabakschnupfenden Südstaatleridioten zu verhören, die kaum mehr als »Mmhmm« oder »Nö« herausbrachten, bevor sie Wurzeln schlugen und Rinde ansetzten, reichte völlig aus, dass er wünschte, er wäre wieder in L. A. Beinahe jedenfalls.
    Detlef Abercorn stand am Fenster und starrte in den fahlen, toten Himmel, der über Savannah hing wie ein alter Abwaschlappen. Es war ein grauer, feuchter Hochsommervormittag, bedeckt, aber stickig. Er hatte noch nicht einmal die Zeitung gelesen und kaum den Dampf von seiner ersten Tasse Kaffee weggepustet, da war sein Hemd schon durchgeschwitzt. Vor zehn Minuten war er ins Büro gestürmt, hatte Ginger, der neuen Vorzimmerdame mit dem sommersprossigen Dekolleté und dem erblich offen stehenden Mund, einen Kuss hinübergeblasen, seinen Monitor eingeschaltet, ganz arglos einen Schluck Kaffee getrunken – und dann zusehen müssen, wie sich ein IAADA -Alarm auf dem Bildschirm breitgemacht hatte.
    IAADA – Illegal Alien, Armed, Dangerous and Amok , Illegaler Einwanderer, bewaffnet, gefährlich und Amokläufer – war die höchste Dringlichkeitsstufe im elektronischen Nachrichtennetz der Einwanderungsbehörde INS . In Los Angeles, dem innersten Kreis der INS -Hölle, wurden laufend IAADA s ausgegeben, weil dort andauernd Guatemalteken auf Salvadorianer schossen, Hmong-Stammesangehörige fremde Hunde in ihre Mikrowellenherde steckten, Türken und Iraner Teppichgeschäfte in Brand setzten und so weiter – aber hier, im verschlafenen alten Hinterwäldler-Savannah, hatte es so etwas noch nie gegeben. Der Ort war nicht einmal eine halbwegs wichtige Hafenstadt und gewiss keine Brutstätte internationaler Intrigen. Hier passierte nichts. Nie. Deshalb hatte er sich ja hierher versetzen lassen.
    Es war natürlich der Japse – er korrigierte sich: der Japaner –, der letzte Woche von seinem Schiff gesprungen war. Er hatte die Situation von Anfang an im Auge behalten – hatte den Kapitän telefonisch befragt, den Bericht der Küstenwache angefordert und eine Akte angelegt –, aber es war keine große Sache gewesen. Sie hatten den desertierten Matrosen als IA – Illegaler Ausländer – eingestuft und es dabei belassen. Wenn er es bis an Land schaffte, würden ihn die Provinzler dort in den Dorfknast stecken, bevor er zweimal geschissen hatte, und falls er ihnen Schwierigkeiten machte, würden sie ihn an einem Baum aufknüpfen und häuten wie ein Karnickel. Dann aber kam die Meldung, er habe das Ufer erreicht – es gab Augenzeugen, ein Pärchen aus der Künstlerkolonie, das er im Peagler Sound attackiert hatte –, und Abercorn hatte nachgefasst. Vom Steuermann des japanischen Frachters – einem verhutzelten alten Pisser, der etwa hundertzwanzig Jahre alt war und aussah, als wäre er seinerzeit aus einem Ei geschlüpft – erfuhr er, dass der Geflüchtete mit einem Messer bewaffnet war und die halbe Schiffsbesatzung angegriffen hatte, bevor er über die Reling gegangen war, deshalb hatte er die Personenkennung auf IAAD setzen lassen: Armed and Dangerous. Trotzdem war es nichts Weltbewegendes. Ein Japse in Georgia? Die Leute da fraßen Wiesel, verwendeten als Zahnstocher ihre Füße und lebten direkt auf der Erde wie Unkraut, wie Schlingpflanzen; der arme dumme Japse – äh, Japaner – würde keinen Tag lang, ja keine sechs Stunden durchhalten. Da war sich Abercorn sicher. Und dann war das Wochenende gekommen, er hatte eine Runde durch die Discos gedreht, zu viel

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