Der Samurai von Savannah
auch einer, der ihn in einem unverständlichen Kauderwelsch anschrie.
»Schiffbruch!«, schrie Hiro zurück und fuchtelte mit den Armen, um den gaijin zu imitieren. »Ich verhungere. Bitte, ich Sie sehr bitte, Sie mir geben etwas zu essen!«
Olmstead White hörte ihn, aber das nützte nichts. Ebenso gut hätte Hiro japanisch reden können. »Etewa swesson« war das einzige, was bis zu Olmstead durchdrang, und auch das begriff er nicht, so fremdartig war ihm Hiros Akzent – und selbst wenn er es verstanden hätte, wäre die Sache nicht anders ausgegangen. Derart in der eigenen Küche in die Falle getappt, voller Angst, Wut und Verlegenheit, kaum den Hexen und Gespenstern entronnen und schon in der Hand eines Fremden – ein asiotischer Chineser war das, auch das noch –, reagierte Olmstead White auf die ihm einzig mögliche Art. Vor ihm auf dem Tisch lag das Fleischermesser, das er immer schön scharf hielt, um die harten Borsten seines Weihnachtsbratens und die weichen Bäuche von Opossums und Rehen damit aufzuschlitzen. Er blickte erst Hiro, dann das Messer an und packte es mit raschem Griff.
Hiro spürte, dass sich die Situation verschärfte. Die Adern am Hals des Negers schwollen an, seine Augen quollen aus den Höhlen. Er schrie immer weiter, und auf seinen Lippen glänzten kleine Spucketröpfchen. Es war offenkundig, dass er kein Wort verstanden hatte. Und jetzt hielt er ein Messer in der Hand, dessen Klinge scheußlich abgenutzt aussah. Hinter ihm verströmten die Austern ihren Ambrosiaduft.
Es sah schlecht aus. Sehr schlecht. Hiro hätte sich umdrehen und flüchten sollen, das wusste er, und er wusste auch, dass das Messer scharf war und der Alte verstockt, wie ein wildes Tier, das man in seiner Höhle aufgestört hatte. Doch die Austern übten ihren mächtigen Einfluss aus, und er erinnerte sich an die Worte Jōchōs: Ein wahrer Samurai darf niemals mutlos werden oder nachlassen. Er muss tapfer voranstürmen, als wäre er sicher, dass er am Ende siegen wird. Andernfalls ist er völlig nutzlos. »Etewa swesson«, wiederholte er.
Was dann geschah, überraschte sie beide. Die vernachlässigten Austern brannten an, wurden hart und erreichten die kritische Masse; im nächsten Augenblick gingen sie mit einem schlürfenden Luftzug in Flammen auf, worauf ein dicker schwarzer Rauchpilz aus der Pfanne emporquoll und im Aufsteigen noch dicker und schwärzer wurde. Instinktiv wandten sich die Widersacher beide der Pfanne zu. Dabei versetzte Hiro, der trotz des Gewichtsverlusts von neun Kilo immer noch ein stämmiger junger Mann war, dem ältlichen Olmstead White einen Stoß, und Olmstead White, der in der rechten Hüfte an Arthritis litt, verlor das Gleichgewicht und streckte deshalb eine Hand aus, um sich festzuhalten. Leider bekam diese Hand weder den Tisch noch die Ofenkante zu fassen. Stattdessen landete sie mitten in der Pfanne, im flammenden Fett und zwischen den verkohlten Austern, und Olmstead White stieß ein Geheul aus, das wohl selbst dem willensstärksten aller Samurai den Haarknoten aufgelöst hätte. Die Pfanne wackelte einen Moment lang auf dem Rand des Ofens, dann knallte sie in einem Feuerball zu Boden.
In Sekundenschnelle fing die Hütte Feuer. Die Flammenzungen fraßen an den Bodenbrettern und Wänden, verschlangen die schmutziggelben Vorhänge. Hiro gab Fersengeld. Er war zur Tür hinaus, von der Veranda hinunter und schon auf dem primitiven Friedhof, als er sich besann. Was tat er da? War er verrückt geworden? Er konnte doch den alten Neger da drin nicht einfach verbrennen lassen, oder? Er wandte sich um, Jōchōs Mahnung auf den Lippen – man muss handeln, und zwar ohne zu zaudern, sonst ist man verloren, entehrt und ein Feigling –, und rannte zur Hütte zurück. In diesem Moment erschien der Neger in der rauchverhangenen Tür, das Haar versengt, die rechte Hand von der Farbe eines gekochten Hummers. Hiro hielt wieder inne. Was ihn diesmal zögern ließ, was aus dem Ballon seiner Entschlossenheit die Luft heraus und ihn Jōchō vergessen ließ, das war der Gegenstand, den der Alte unter seinen heilen Arm geklemmt hatte. Denn Olmstead White stand auf der Veranda, die Hütte hinter ihm das reinste Inferno, und hantierte mit einer doppelläufigen Schrotflinte und einer Schachtel mit grellroten Patronen herum.
Und dann rannte Hiro erneut davon, vor dem Krachen der Flinte und dem Prasseln der Flammen und den Schreien und Rufen der aufgestörten Nachbarn. Auf einmal waren überall Menschen,
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