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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Tiere ihre Kieferregionen abzureißen und sich damit unter Umständen eine eitrige Infektion zuzuziehen, die brandig werden und das ganze Bein bedrohen konnte. Nein, er pflückte sie einfach ab, betrachtete versonnen die plumpen, sich windenden wurstförmigen Körper – für Nacktschnecken hatte er schon immer eine Schwäche gehabt –, ehe er sie in den Graben zurückwarf. Die brauchte er jetzt nicht. Essen, richtiges Essen war in Sicht.
    Gleich darauf zog er sich aus und versuchte die Latzhose im Graben auszuwaschen. Das rote Hemd war nicht mehr zu retten, deshalb riss er einen Streifen davon ab und wickelte ihn sich um den Kopf, im Ninja-Stil, in der Hoffnung, es könnte ihn ein bisschen tarnen. Dann wrang er die Hose aus, zog sie sich mühsam wieder an (keine leichte Aufgabe – es war, als zwängte er sich in einen sechs Größen zu kleinen Taucheranzug) und wandte sich dann Jōchōs Worten zu. Die Banknoten waren noch da, ebenso wie das zerknitterte, verblichene Foto seines Vaters. Er strich sie glatt und wunderte sich dabei über die rätselhaften Chiffren und Symbole – eine Pyramide? Standen die nicht in Ägypten? – und konnte nicht recht glauben, dass das echtes Geld war. Es sah so – so lächerlich aus, wie Spielgeld für kleine Kinder. Auf drei der Banknoten war ein Bild von einem Mann mit Perücke, er trug einen Stehkragen und machte eine gütige Miene. THIS NOTE IS LEGAL TENDER FOR ALL DEBTS, PUBLIC AND PRIVATE , las Hiro. FEDERAL RESERVE NOTE. THE UNITED STATES OF AMERIKA .
    Er zuckte die Achseln. Akio Ajioka, Schiffsjunge an Bord der Tokachi-maru und sein einziger Freund auf der Welt, hatte ihm die Scheine gegen zwei Flaschen Suntory-Whisky und einen Stapel abgegriffener Comics eingetauscht. »Waschechte Dollars, Kumpel«, hatte Akio gesagt und gegrinst, »damit zahlen sie auf dem Times Square, dem Broadway und in Miami Beach.« Akio hätte ihn nicht angelogen, da war er sicher. Also stand er auf und drückte die Falten in seiner Hose glatt. Dann ging er, in der einen Hand die Geldscheine, in der anderen Jōchō, quer über den Parkplatz in den Laden.
    Drinnen war es kühl und angenehm, das einzige Licht war das Sonnenlicht, das durch die Fenster drang. Hiro sah Regale voller Essen, größtenteils ungesunde Billigware in grellen Plastiktüten und bunten Blechdosen. Es gab eine Kühltruhe und hinten an der Wand zwei riesige Eisschränke mit Bier und Limonadengetränken, ein Schrein für den Durst. Hinter der Registrierkasse saß eine junge Frau – sehr jung, sechzehn, höchstens siebzehn, ein Mädchen noch – und stillte ein Baby. Sie betrachtete ihn aus großen grünen Augen. »Na, und was kann ich tun für Sie?«, fragte sie.
    Essen. Hiro wollte essen. Und trinken. Aber er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Naunwaskanichtunfürsi ergab keinen Sinn, überhaupt keinen, aber er wünschte verzweifelt, einen guten Eindruck zu machen, den Handel hinter sich zu bringen und dann mit einer Verbeugung wieder zur Tür hinauszugehen, um im Gebüsch zu verschwinden und sich vollzustopfen, bis er platzte. Ihm war klar, dass dies alles seine Geistesgegenwart erforderte, er musste sie davon überzeugen, dass er in Ordnung war, dass er hierhergehörte und sich auf die Lebensart der gaijin ebenso gut wie sie selbst verstand. Schon jetzt brachte ihn der Stress fast um. Er schwitzte. Er hatte seine Gesichtsmuskulatur nicht ganz unter Kontrolle. »Etewa swesson«, sagte er und bemühte sich um einen lässigen Tonfall, während er einen Laib Brot und eine Tüte mit Chips vom Regal nahm und sich dabei ständig und immer wieder verneigte.
    Das Mädchen nahm das Kind von der Brust – er sah, wie sich die winzigen Fäuste ballten und die Füße strampelten, er erhaschte einen Blick auf die feuchte rosa Brustwarze und den gespitzten feuchten rosa Mund. »Bobby«, rief sie nach hinten, »wir haben hier ’n Kunden.«
    Hiro drückte sich das Brot und die Chips gegen die Brust. Schwerfällig ging er den Gang entlang, die nasse Latzhose zwickte ihn zwischen den Beinen, und verneigte sich automatisch. Er bewegte sich auf den Getränkeschrank zu, seine Zunge war trocken wie Staub. Bleib ruhig, sagte er sich. Verhalte dich natürlich.
    Das Mädchen hatte das Kind in die Wiege hinter der Ladentheke gelegt und beugte sich jetzt träge über die Kasse. »Sie sind wohl ’n Tourist, wie?«, fragte sie mit ansteigender Intonation am Satzende.
    Tuu-rist, tuu-rist , dachte sich Hiro und öffnete die Tür des Kühlschranks,

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