Der Samurai von Savannah
spannten sich an, sein Hals war starr wie ein tief in die Erde gerammter Flaggenmast. Aber langsam, ganz langsam drehte er das graue, stoppelbärtige Kinn, bis er das Profil der Tür zuwandte und mit einem geweiteten Auge sehen konnte, wer oder was da hinter ihm stand.
Was er dort sah, durch die verengte Pupille jenes Auges, ließ ihm das Herz gefrieren. Er sah Wheeler, seinen Bruder Wheeler, aus dem Grab auferstanden und mit einer Hautfarbe wie kompostiertes Laub, Wheeler in dem roten Baumwollhemd mit geknöpftem Kragen und der Jeans-Latzhose, die er vor nicht einmal drei Tagen über den harten Granit des Grabsteins drapiert hatte. »Wheeler!«, rief er aus, drehte sich ungeschickt um und warf beschwichtigend die Arme in die Höhe. »Ich hab das alles nicht so gemeint, wirklich. All die schrecklichen Gemeinheiten, wo ich gesagt hab über dich, an dem Tag, wo du gestorben bist, das hätt ich nich sagen solln, aber ich tu doch –« Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Das war gar nicht Wheeler, der da in seiner Küche stand mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er sich gerade in die Hosen gemacht …
das war nicht Wheeler, dem die Latzhose um den Bauch herum viel zu eng und an den Beinen zu lang war, der hatte ja Schlitzaugen und glatt gebügeltes Haar, das ihm ins Gesicht hing … das war doch, das war eine Art Chinese oder so! Aber was machte ein Chinese in Olmstead Whites Küche in Hog Hammock auf Tupelo Island? Es war ihm ein Rätsel. Es verwirrte ihn. Letztendlich brachte es ihn mehr aus der Fassung als alle Hexen und Geistererscheinungen auf einmal. »Wer bist’n du?« brüllte er.
Hiro seinerseits war nicht minder geschockt als der Schwarze, der da zuckend und zitternd vor ihm stand. Wie im Delirium war er aus dem Salzsumpf auf festen Boden hinausgewankt, während seine tote Mutter und sein verschollener Vater wie Elfen um ihn herumtanzten, erfrischende Kräuterlimonade, Fruchtsäfte und Steinkrüge mit kaltem Sake in den flatternden Händen, dann hatte er eine Pfütze gefunden, eigentlich kaum mehr als verdünnten Schlamm, und sein Gesicht hineingetunkt. Inzwischen war der Duft nach brutzelndem Fett überwältigend und nah, also kämpfte er sich auf die Beine und fiel in Laufschritt. Da war er auf die Grabsteine gestoßen – primitive Felsbrocken, die aus dem Unkraut herausragten wie in einem dieser Spaghetti-Western. Am ersten Grabstein blieb er mit dem Schienbein hängen, der zweite streifte seitlich sein Gesicht, als er zu Boden ging. Nachdem er sich mühsam wieder aufgerappelt hatte, sah er das Hemd und die Hose, einen umgedrehten Teller, eine Schnur mit getrockneten Peperoni und ein verwittertes Kartenspiel. Er dachte nicht nach, konnte nicht denken, der Geruch nach frittiertem Fisch – Austern, ja, Austern – vertrieb alles andere, und es dauerte keine Minute, bis er seine zerfetzten, verdreckten Kleider gegen Hemd und Latzhose eingetauscht hatte. Herumhopsend wie beim Sackhüpfen auf einem Kindergeburtstag, schlüpfte er in die Latzhose und hetzte dann durch den Garten in Richtung jenes köstlichen, gebieterischen Geruchs.
Jetzt aber stand er auf einmal in fremden, gestohlenen Kleidern im Haus eines Fremden, und dieser Fremde brüllte ihn an. Schlimmer noch: Der Fremde war ein Schwarzer, ein Neger, und wie alle Japaner wusste Hiro, dass Neger bösartig und verdorben waren, haariger, verschwitzter und sogar noch potenter als ihre weißen Pendants, die hakujin. Sie waren gewalttätig, körperbetont, drogenabhängig und dachten nur mit ihren Geschlechtsorganen. Er hatte einmal einen gesehen, in den Straßen von Tokio, einen bēsobōru -Spieler namens Clarence Hawkins, erster Schlagmann für die Hiroshima Carp. Ein beeindruckender Kerl, wie ein wandelndes Standbild. Aber er hatte kein Herz – kein hara –, und er konnte sich nicht ins Team einfügen. Dieser Spieler brauchte nur auszuholen und schlug garantiert einen home run , aber er weigerte sich, mit den anderen zu trainieren, ließ die Gymnastik aus und die täglichen tausend Übungsschläge, rannte nicht mit ihnen die Runden rings ums Außenfeld und kam nicht mit unter die kalte Dusche, was Mannschaftsgeist und Siegeswillen, Mumm in den Knochen und Entschlossenheit demonstriert hätte. Die Werfer lieferten ihm nichts zum Treffen, und die Schiedsrichter monierten ständig Schlagfehler, selbst wenn der Ball korrekt genommen worden war, und innerhalb eines Jahres war er wieder zurück in Amerika. Das war ein Neger gewesen. Und das hier war
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