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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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mit Mund und Händen – »Und dann kannst du dich da auf dem Sofa ausruhen. Ich tu dir nichts. Das verspreche ich dir.«
    Einen langen Moment stand er reglos da und fixierte sie. Er war größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, und trauriger, weil seine Augen hohl wirkten und die Wangen eingefallen waren, aber als er nach der Tür griff, erstarrte sie von Neuem. Vielleicht war er doch gefährlich, dachte sie. Vielleicht stimmten die Meldungen ja. Immerhin war er aus einem fremden Land. Er hatte ganz andere Werte. Er konnte ein Fanatiker sein. Ein Wahnsinniger. Ein Killer.
    Die Tür ging auf, und er machte einen vorsichtigen Schritt in den Raum hinein. Verzweifelt klammerte er sich an den Essensbehälter. Sein Blick war der eines Gehetzten. Er schrie beinahe auf, als die Tür hinter ihm wieder zufiel.
    Dann sah sie, was er da um den Kopf geknotet trug: schimmerndes Nylon, ein schmales weißes Gummiband – Clara Kleinschmidts Unterhose. Sie konnte sich nicht beherrschen, konnte es nicht länger zurückhalten – der bewaffnete, gemeingefährliche Ausländer: ein zu groß geratener Junge mit Clara Kleinschmidts Unterhose um den Kopf –, und auf einmal lachte sie, lachte so sehr, dass sie zu ersticken glaubte.
    Später, nachdem er das Mittagessen verschlungen hatte, dazu eine Schachtel Salzcrackers, zwei Äpfel und eine Schnur mit gedörrten Datteln, die ihre Mutter ihr geschickt hatte, fiel er der Länge nach auf das weiße Rattansofa und schlief sofort wie ein Toter. Lange Zeit betrachtete sie ihn einfach nur, studierte ihn wie ein Medizinstudent einen Leichnam oder ein Künstler sein Modell. Sie betrachtete seine Gliedmaßen, seinen blasigen Rücken und die zerschrammten Füße, den Knoten seiner verfilzten Haare, die Konturen des Gesichts, sogar das Rinnsal von Speichel, das ihm aus dem halb geöffneten Mund lief. Er war in üblem Zustand. In einem echt üblen Zustand. Die anderthalb Wochen im Sumpf hatten ihm nicht eben gutgetan. Seine Haut – jeder sichtbare Zentimeter davon – war ein verkrusteter Fleckenteppich aus Insektenstichen, Schorf und Pusteln. Eine Quetschung am rechten Ohr hatte sich entzündet und das Ohrläppchen auf die doppelte Größe anschwellen lassen. Ein langer, gestrichelter Kratzer verlängerte die eine Augenbraue wie das extravagante Make-up eines Clowns oder einer Hure. Sein Gesicht war verquollen, die Haut unter dem Sonnenbrand ganz fahl. Sein einziges Kleidungsstück – eine schlecht sitzende Latzhose – war zerfetzt, an den Nähten geplatzt, hinten zu eng und steif vor Dreck. Das Schlimmste aber war der Geruch, den er mit sich brachte, ein ranziger, elementarer Gestank nach verwesendem Fleisch, wie etwas, was tot im Straßengraben liegt.
    Sie wusste nicht mehr, wie lange sie nur so dasaß und ihn ansah – er bewegte sich überhaupt nicht, bis auf das Heben und Senken des Brustkorbs. Währenddessen rutschte die Sonne unmerklich über den Himmel. Es war Cocktailzeit (ungefähr jedenfalls: der Winkel der Sonne, die nun durch das westliche Fenster ihre Kannenpflanzen beschien, verriet ihr das), als sie sich endlich aufraffte, ihm etwas zum Anziehen, Seife und ein Desinfektionsmittel zu besorgen – sie befürchtete, er könnte sonst verfaulen. Sie dachte dabei an Obst – Birnen oder Bananen –, das Flecken bekommt und erst bräunlich, dann schwarz wird und schließlich ganz in sich zusammenfällt. Sie stand auf, huschte zur Tür hinaus und machte sich auf den Weg zum Großen Haus.
    Falls sie gehofft hatte, unbemerkt hineinschlüpfen zu können, so war das Glück nicht mit ihr. Es war ein Tag mit wolkenlosem Sonnenschein und einem sanften Hauch von der See, und ihre Künstlerkollegen hatten die Cocktailstunde nach draußen verlegt. Sie saßen auf der Terrasse, ihre Gläser funkelten in der Sonne, als sie sich näherte. »Ruthie!«, rief Irving Thalamus, dessen Gesicht vom Chardonnay gerötet war. »La Dershowitz« – er hob sein Glas in die Höhe – » raconteuse extraordinaire , komm und trink einen Schluck vin ordinaire !«
    Sie hatte keine Wahl: Sie brauchte ihn, und er nahm sie, auf seine laute Art, mehr und mehr wahr. Sie überquerte den sonnigen Rasen, war sich voll bewusst, dass alle Gesichter sich ihr zuwandten und das Geplauder verstummte, ging weiter auf ihrem unausweichlichen Weg, als Heldin ihres eigenen Films, und sah sich selbst dabei zu, wie sie in dem grellen Licht herankam, in ihren knappen Jeans und der hautengen Bluse. »Irving«, sagte sie, schmiegte sich in

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