Der Samurai von Savannah
enthüllt hatte. Und jetzt war er hier, drängte sich in ihr Geheimnis hinein. Sie hatte keine Pläne, jedenfalls noch nicht, sah in Hiro nicht einmal im Traum etwas anderes als eine Kreatur, die gestreichelt, beschwichtigt und getröstet werden musste – eine exotische, faszinierende Kreatur, gewiss, aber noch sah sie ihn nicht als ihr Eigentum, als das Schwert, den Keil, die Keule, mit der sie sich ganz Thanatopsis House untertan machen würde. Pläne hatte sie keine, aber sie wusste genau, mit diesem großen und pitschnassen Mann in dem billigen Detektiv-Trenchcoat wollte – nein, konnte sie nicht zusammenarbeiten.
Owen starrte die beiden an, ausnahmsweise einmal sprachlos.
»Ich wollte fragen, ob Sie uns wohl helfen könnten«, begann Abercorn, und während nun das Gemurmel der Unterhaltung hinter ihr wieder einsetzte, blieb Ruth beim Eingang stehen, hörte zu und beobachtete, wie Abercorn seine Leidensgeschichte erzählte und Owen irritiert blinzelte. Wie sich herausstellte, hatten Abercorn und Turco drei Stunden lang auf die letzte Fähre gewartet, bei der Landung jedoch die kummervolle und höchst ungelegene Auskunft erhalten, dass auf der Insel keinerlei Quartier zu bekommen sei. Sie brauchten daher eine Schlafgelegenheit, ehe sie am nächsten Morgen die Verfolgung des gemeingefährlichen, bewaffneten Ausländers aufnehmen würden, der die Leute hier in Angst und Schrecken versetzte, wie man hier so erzählen täte – Abercorn sagte wirklich »wie man hier so erzählen tut« im Dialekt der Südstaaten, obwohl jedermann sofort merkte, dass er ein Großstadt-Yankee mit schwitzigen Händen war, ungefähr so ländlich wie der U-Bahn-Rächer Bernhard Goetz. Sheriff – trotz aller Bemühungen klang es wie »She-riff«, nicht wie »Shurf« –, Sheriff Peagler habe ihm gesagt, hier im Hause könne er vielleicht ein Bett oder gar zwei finden, selbstverständlich sei er bereit, jeden geforderten Betrag dafür zu entrichten, immerhin komme er offiziell, im Auftrag der Regierung, und die Alternative sei, nun ja – hier ließ er sein Grinsen aufleuchten und zuckte beim nächsten Donnerschlag gekünstelt zusammen –, die Alternative sei eben, dort draußen zu ersaufen.
Und so stand Ruth früh auf, saß als Erste beim Frühstück und huschte als Erste zum Arbeiten davon, bevor Abercorn sie mit neuen Fragen festnageln konnte. Im Wald war es still, der Morgen duftete nach dem Regen der Nacht. Die Sonne war in prächtigem Gold aus dem schwappenden, kalten Atlantik aufgestiegen, und als Ruth den Weg zu ihrem Studio entlangging, schien es, als schmelze sie sich gerade durch die harten, unnachgiebigen Pfeiler der Kiefern hindurch. Ruth ging langsam, sog alles in sich auf, und trotzdem kam sie fast anderthalb Stunden früher als sonst bei ihrem Studio an. Es war kurz nach sieben, doch als sie sich an den Schreibtisch setzte und stumpfsinnig auf das eingespannte Blatt in der Maschine starrte, konnte sie an nichts anderes als ans Mittagessen denken. Würde er auftauchen? Und wenn ja, was würde sie tun und wozu würde es führen? Sie stellte sich vor, wie ihr Japaner im Bett wäre, stellte sich vor, selbst in Japan zu sein, im Land der Bürohäuser, der klaustrophobischen Straßen und der winzigen Füße, und dann endlich, nur damit die Zeit schneller verging, begann sie zu arbeiten.
An diesem Tag tauchte Hiro nicht auf. Bockigerweise. Es war beinahe, als wüsste er, dass sie den Kontakt mit ihm wünschte, hätte aber irgendein kulturbedingtes Problem – verschrobenes japanisches Machotum oder so etwas –, das ihn von ihr fernhielt. Und weil Saxby immer noch in Savannah war, weil sie gerade erst anfing, ihre Macht im Billardzimmer zu etablieren, aber auch weil ihr langweilig war und weil sie ganz einfach Lust dazu hatte – und das Geheimnis, ihr Geheimnis, machte die Sache noch lustvoller –, setzte sie sich an diesem Abend im Salon mit ihrem Cocktail zu Abercorn und plauderte mit ihm. Er hatte den Tag mit ergebnislosen Befragungen der Schwarzen in Hog Hammock verbracht – »Ich meine, ich hab kein Wort von dem verstanden, was die geredet haben, ehrlich, kein einziges Wort«, sagte er, »nach einer Weile wurde es richtig peinlich« –, während sein Assistent durch die Wälder gezogen war, mit einem Riesenkofferradio im Gepäck. Darüber lachte sie herzlich mit ihm, über Turcos Gettoblaster. »Ja«, sagte sie – sie musste es einfach tun, musste mit ihm herumalbern, nur ein bisschen, nur zum Training –, »ich
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