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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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und trinkbar war – in der pechschwarzen Nacht konnte er kaum die Schüssel erkennen. Vorsichtig neigte er das Gesicht in die Schüssel und trank, und zu seiner Freude war das Wasser frisch und köstlich, ohne jeden sumpfigen Beigeschmack – hatte Wasser je so gut geschmeckt? Dann zog er sich die Lumpen vom Leib, tastete nach Waschlappen und Seife und ging an eine gemächliche, genüssliche Reinigung seines Körpers, die er immer nur kurz unterbrach, um Moskitos abzuwehren.
    Als er fertig war, kippte er sich die Schüssel mit Wasser über den Kopf, dann füllte er sie frisch auf – wenigstens hatte sie daran gedacht, den Wasserkrug auf der Veranda zu lassen, knurrte er vor sich hin, aber seine Dankbarkeit schlug sofort in Empörung um: kein Essen – Heftpflaster, aber kein Essen! Er benetzte sich das Haar, seifte es ein und spülte es wieder aus. Dann setzte er sich auf die Stufen, immer noch nackt, und entfernte mit dem Taschenmesser die Kletten und Distelstacheln und Zweige aus seinem Haar. Viel Bart hatte er nicht – ein paar dünne Härchen sprossen an seinem Kinn und über der Oberlippe –, und auch diese versuchte er zu schneiden, allerdings mit weniger Erfolg. Schließlich griff er nach der kurzen Hose und streifte sie über, so zufrieden wie ein kleiner Junge, der nach einem langen heißen Bad in seine yukata schlüpft.
    Er nahm das T-Shirt und die Turnschuhe, Jōchō und das Taschenmesser mit in das dunkle Studio hinein. Eine Weile blieb er reglos im Dunkeln stehen und roch sie, das Aroma von süßer Haut und den Anflug eines westlichen Parfums, das wie Gewürzduft in der Luft hing. Das Studio war leer. Er erinnerte sich an die Kochplatte und an die Dose mit Keksen. Sie muss etwas dahaben, dachte er, irgendetwas. Und dann ging er ein Risiko ein: Er tastete sich durch das Zimmer, irrte in der völligen Finsternis herum, bis er ihre Schreibtischlampe fand, und knipste sie an.
    Der Raum erwachte zum Leben, blendende Farben und Dimensionen – ein Zimmer, ein Wohnraum, vier Wände und ein Dach. Er war drinnen. Sein ganzes Leben hatte er drinnen verbracht, und jetzt war er wieder drinnen. Die Fenster starrten ihn an, reflektierten das Licht, und er wusste, dass ihn jeder sehen konnte, der dort draußen stehen mochte … aber das kümmerte ihn nicht. Nicht jetzt. Nicht mehr. Im Moment ging es ihm nur ums Essen. Also wo war es? Wo bewahrte sie es auf? Er musterte den Raum – die Bücherreihen, die Schreibmaschine mit dem eingespannten, leicht gerollten Blatt Papier, den Kamin, die Stühle und das Sofa –, und sein Blick blieb auf dem wackligen Tischchen mit der Kochplatte hängen. Dort standen die Sachen zum Kaffeekochen: eine Tasse, ein Löffel, eine Keramikschale mit Süßstoff und Kaffeeweißer, dazu eine bunt bemalte Dose mit koffeinfreiem Kaffee. Und das war’s. Sonst war da nichts. Jedenfalls nichts zu essen.
    Die nächste halbe Stunde saß er in einem Kreis aus goldenem Licht, behandelte seine Wunden und schlürfte koffeinfreien Kaffee – eine Tasse nach der anderen. Allzu nahrhaft war das nicht, das wusste er – ein bisschen Soja-Eiweiß in dem künstlichen Milchpulver vielleicht –, aber er schüttete sich die Tasse voll mit Süßstoff und dem trockenen gelblichen Pulver und redete sich ein, es sei eine reichhaltige, sättigende Mahlzeit. Er betupfte schonend seine Wunden und untersuchte seine armen lädierten Füße wie ein Rentner in seiner Dachkammer. Er drückte Eiter und Schmutz aus den infizierten Kratzern und Schrammen, die ihn von Kopf bis Fuß übersäten, strich sie mit dem brennenden Jod und dem angenehm milden Wasserstoffperoxid ein, dann klebte er die Pflaster darüber, eins nach dem anderen, bis seine Arme und Beine und der Brustkorb wie eine blassrosa Collage aussahen. Er ließ sich Zeit, und sein Herz schlug wie eine Uhr, kräftig und konstant. Hier zu sein, drinnen zu sein, in diesem Raum, der ihn vor dem nackten Boden und dem nackten Himmel schützte, kam ihm wie ein leises Wunder vor. Dass es ihr Raum war, dass es der Ort war, wo sie während der langen Stunden des Tages ihre Zeit verbrachte, machte es umso schöner. Er fühlte sich endlich gerettet.
    Als er fertig war – als er alle Pflaster verklebt, den ganzen Kaffeeweißer verbraucht und alle Tütchen mit Süßstoff geleert hatte –, knipste er die Lampe aus und streckte sich auf dem Rattansofa aus. Er würde die Nacht – diese Nacht wenigstens – unter einem Dach verbringen, statt sich draußen im Schlamm zu suhlen

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