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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Jōchōs Worte über die Wichtigkeit von Körperpflege und persönlicher Erscheinung denken – das Leben sei eine Kostümprobe für den Tod, auf ihn gelte es stets vorbereitet zu sein, bis ins kleinste Detail der Toilette, bis hin zur Unterwäsche, zur Nagelpflege, zu Händen und Zähnen und der Färbung der Wangen –, und er fühlte sich gedemütigt bis ins Innerste. Er war besudelt. Entwürdigt. Unrein. Geringer als ein Hund.
    »Ich bringe dir etwas zum Anziehen«, sagte sie.
    Er war ein Nichts. Er stank. Er ekelte sich vor sich selbst. » Dōmo arigatō «, sagte er, und obwohl er bereits hockte, verbeugte er sich aus der Hüfte heraus.
    Dann stand sie auf. Stellte sich auf diese schönen, schlanken, gespenstisch weißen Beine und schritt quer durchs Zimmer auf ihn zu. Sie sagte nichts. Sie stand über ihm, in den Augen ein warmer, tröstender Ausdruck, und streckte die Hand aus. »Komm«, sagte sie. Ihre Stimme klang tief und kehlig, und als er ihre Hand ergriff, zog sie ihn hoch. »Komm, leg dich hin«, und sie bot ihm das Sofa an. Er gab seinen Widerstand auf und ließ sich von ihr führen wie ein kleines Kind, ließ zu, dass sie ihm das Kopfkissen unterschob und in ihrem feierlichen Tonfall auf ihn einflüsterte, bis seine Muskeln sich entspannten und er das Gefühl bekam, durch das Rattanrohr, das Dielenholz, die Erde selbst hindurchzusausen, in ein Reich, wo nichts mehr wichtig war, gar nichts mehr.
    Er träumte von Baseball – bēsubōru –, dem Spiel, das sein Leben gewesen war, bis er Jōchō entdeckte. Er war bei seiner Großmutter, seiner obāsan , sie trank Sake und er aß einen hotto dogu , und die Spieler auf dem Platz schwangen ihre Schläger, und der Werfer knallte den Ball genau in das dunkle, magische Loch des Fängerhandschuhs hinein. Und dann war er plötzlich mitten unter ihnen, stand auf dem Schlagmal und schwang … keinen Schläger, sondern den hotto dogu , mit Chilisoße, Senf und allem Drum und Dran … er schwang ihn, bis er anschwoll und größer wurde und er das Gefühl hatte, damit alles machen zu können, einen sicheren home run schlagen, den Ball in die Luft befördern zu können wie einen Vogel oder eine Rakete. Er wandte sich um und wollte seiner obāsan zuwinken, doch sie war weg, an ihrer Stelle stand jetzt eine junge Frau mit einem Baby an der Brust … aber nein, da war nicht nur ein Mädchen, es waren Hunderte, Tausende, und jede stillte gerade ein Kind, und jede hatte Brüste, so rein und weiß wie … Brüste … eine Lawine von Brüsten …
    Er erwachte langsam, allmählich, ein Taucher, der an die Oberfläche einer trüben Lagune treibt, und der Schlaf haftete an ihm wie Wasser. Es dauerte einen Augenblick, er war desorientiert, erschöpft von allem, was er erlebt hatte – lag er zu Hause in seinem Bett, in der gemütlichen Koje auf der Tokachi-maru , döste er während einer Vorlesung auf der Marineakademie vor sich hin? –, und dann wusste er schlagartig, wo er war, und riss die Augen weit auf. Er sah das Gittermuster des Rattansofas, die verblichene Lackschicht, er sah das geblümte Kopfkissen und die eigene schmutzige, zerkratzte Hand. Zu hören war nichts, kein Laut. Im nächsten Augenblick fuhr er hoch, sprang vom Sofa, verfluchte sich, verfluchte sie, und dann riss er die Tür auf und rannte in den Wald hinein, atmete nur noch in kurzen, keuchenden Zügen. Wie hatte er ihr vertrauen können, dachte er und achtete nicht auf messerscharfe Palmwedel und ziepende Dornen, sein Adrenalinspiegel stieg, jeden Moment rechnete er damit, hinter sich das hechelnde Gebell der Hunde des Sheriffs zu hören. Dieses Miststück, dieses falsche, verlogene, weißbeinige hakujin-Mistweib: Wie hatte er nur so dumm sein können?
    FairPlay – fea purē – war das nicht gewesen, wirklich nicht. Das war gegen die Regeln. Sie hatte geschummelt. Hatte ihn völlig wehrlos erwischt, hatte ihn gefunden, als er gerade alles hinschmeißen, sich ergeben und vor lauter Scham und Schande sterben wollte, und sie hatte ihn mit ihrer Stimme und ihren Augen und ihrem reinen weißen Körper verführt, um ihm dann das Messer in den Rücken zu stoßen. Aber er war ihr entkommen. O ja. Und so etwas würde ihm nie wieder passieren, niemals – er würde ebenso gnadenlos und schlau sein wie die Langnasen selbst. Fea purē gab es nicht mehr für ihn. Die netten Typen werden immer Letzter – das hatte Leo Durocher gesagt, der große amerikajin Manager der Brooklyn Dodgers, und Jōchō hatte es auch

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