Der Samurai von Savannah
auch irgendwo unter ihnen sein, deshalb bremste er den Pritschenwagen ein wenig ab, aber er entdeckte sie nicht, und dann rumpelte er in die Garage, und eine durchscheinende rosa Staubwolke holte ihn ein, als er gerade den Motor ausschaltete und die Fahrertür aufriss.
Er hatte keine Gelegenheit zum Waschen gehabt – seine Hände stanken nach Barschen und Kärpflingen und dem dicken, fauligen Schlick des Lake Okefenokee, und seine Jeans war an den Beinen und am Hinterteil steif vom Schleim der Fische –, und Ruth überrumpelte ihn. Kaum war er ausgestiegen, war sie schon da, flog ihm in die Arme in ihrem trägerlosen Cocktailkleid, das die hellen Konturen und lohfarbenen Grübchen an Hals und Schulterpartie betonte. »Sax«, stöhnte sie und umarmte ihn, küsste ihn, Fischgestank hin oder her. »Ich bin froh, dass du wieder da bist.«
Er hielt sie fest, drückte sie an sich, war sofort scharf auf sie, sprang an wie ein Gasofen, dessen Zündflamme bei der leisesten Berührung des Schalters auf volle Brennleistung hochfährt, und er fragte sich, ob er sie nicht vorsichtig wegschieben sollte, um ihres Kleides willen, und er war verlegen und wusste nicht recht, was er sagen sollte. Auch sie sagte nichts – umarmte ihn einfach nur –, und das war seltsam: Normalerweise fehlten ihr nie die Worte. Und dann spürte er es, das Zittern, das sie durchlief, ein emotionales Beben: Sie weinte. »Was ist?«, fragte er. »Was ist denn los?«
Sie weigerte sich, zu ihm aufzublicken.
»Stimmt irgendwas nicht? Ist etwas passiert, während ich weg war? Was ist denn, Liebes?«
Ihre Stimme klang wie aus dem Grab, klagend und heiser. »Ach, Sax«, sagte sie, und dann hielt sie inne, drückte ihn, und er drückte zurück. »Du musst mit deiner Mutter reden, du musst es tun – für mich.«
Mit seiner Mutter reden?
»Es ist wegen Jane Shine«, sagte sie. Jetzt sah sie ihn an – hob den Kopf von seiner Schulter und zeigte ihm die Tränen auf ihrem Gesicht und das kalte, grimmige Funkeln in ihren Augen. »Sie darf nicht herkommen. Das geht nicht. Sie ist eine Schlampe. Ein Snob. Sie ist – ihr ganzes Talent sitzt zwischen den Beinen, Sax, sonst nirgends. Sie ist es nicht wert, wirklich nicht.«
Er sagte etwas, irgendetwas, zusammenhanglos gemurmelte Worte, um sie zu trösten, aber sie ließ sich nicht trösten.
Ihre Hände schlossen sich fest um seinen Bizeps, und ihr Blick war hart. »Nein, Sax, es ist mir ernst«, sagte sie. »Sie darf nicht herkommen.«
Man hörte ein plötzliches Gelächter von der Veranda, aber Ruth reagierte nicht darauf, hörte es nicht, beachtete es nicht. »Es würde alles kaputtmachen«, sagte sie.
RUSU
Es war ein drückender, dampfender, tropischer Tag, überall Fliegen, der Gestank der Ebbe drang in die Nasen wie eine Art Todeshauch, ein Tag, an dem Ruth das Frühstück am Geselligen Tisch verschmähte. Sie fühlte sich nicht im geringsten gesellig, und nachdem sie Owen mit steinernem Gesicht begrüßt und Rico wortlos zwei noch warme Buttertoasts vom Tablett gemopst hatte, machte sie sich auf den Weg zu »Hart Crane«, obwohl sie keine große Lust zum Arbeiten hatte. Wozu sie Lust gehabt hätte, wäre eine Fahrt aufs Festland gewesen, weit weg von der Insel – am liebsten hätte sie sich zwei Stunden lang herausgeputzt, im besten französischen Restaurant New Yorks ein Acht-Gänge-Essen eingenommen und zum Abschluss den Oberkellner, den Koch, den Sommelier und den Geschäftsführer beschimpft. Im Augenblick hätte sie am liebsten Hunde getreten, Zähne ausgeschlagen oder irgendeinen glupschäugigen Idioten aus einem der endlosen Workshops, die sie in ihrer Studienzeit durchlitten hatte, mit gemeinen, verletzenden Bemerkungen vernichtet.
Mücken flogen ihr ins Gesicht. Die Füße taten ihr weh. Es war ein Scheißtag. Ein Tag der Umwälzungen. Ein stinkender, tödlich ausgebrannter Tiefstand von einem Tag, der Tag, an dem Jane Shine in ihrer ganzen billigen, aufgeblasenen Pracht über Thanatopsis House hereinbrechen würde.
Den ganzen Vormittag hindurch arbeitete Ruth an ihrer Japanergeschichte – sie gab ihr den Titel »Die Tränen und die Flut« –, auch wenn das, was sie schrieb, nicht allzu gut war und sie ständig an einzelnen Sätzen und an Entscheidungen zwischen Alternativen hängen blieb, die sich von selbst erledigen, wenn es gut dahingeht, einen aber an schlechten Tagen völlig entnerven. Zur Mittagszeit stand sie vom Schreibtisch auf, sobald sich Owen davongestohlen hatte, nahm das
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