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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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ihr vorauseilt –, dann kann ich sie hier nur willkommen heißen und dafür sorgen, dass sie sich hier wie zu Hause fühlt, so wie hoffentlich alle Künstler.
    »Ich dachte, sie sollte heute Vormittag ankommen?«
    Thalamus zuckte die Achseln.
    »Hat sie denn angerufen? Hat irgendwer was von ihr gehört?«
    »Du kennst doch Jane«, erwiderte er.
    Ja, sie kannte sie. Sie waren zusammen im Autoren-Workshop von Iowa gewesen, während Ruths erstem Jahr dort, bevor sie wieder ausgestiegen war und lieber ihr Glück in Irvine versucht hatte. Von dem Moment an, in dem Jane den Seminarraum betreten hatte, mit ihrem gesenkten Blick und der blutleeren bleichen Haut unter der hochgesteckten Frisur, war sie die Königin gewesen – gesalbt und gesegnet –, und Ruth war ein Stück Dreck geworden. Jane schrieb über Sex – über nichts als Sex –, in einer schicken, überaus subtilen Prosa, die Ruth affektiert fand, die aber der Lehrkörper – der ausschließlich männliche Lehrkörper – für die authentische, brillante Stimme eines Genies hielt. Ruth kämpfte dagegen an. Mit aller Macht. Dies war schließlich ihr Terrain gewesen, und es gelang ihr sogar, einen Dozenten für sich einzunehmen, einen schmächtigen, vollbärtigen, hyperkinetischen Gastautor aus Burundi. Leider sprach er nicht allzu gut Englisch, und vielleicht deswegen – vielleicht aber auch weil sein Aufenthalt nur vorübergehend war oder weil er auf den Lippen und an den Ohren Stammestätowierungen trug –, besaß seine Stimme nur wenig Gewicht. Als die Stipendien für das zweite Jahr vergeben wurden, stach Jane Shine jedenfalls alle aus.
    Wütend und frustriert war Ruth von Iowa abgegangen und an die University of California in Irvine heimgekehrt, wo sie immerhin ihre erste Erzählung produziert hatte, die veröffentlicht worden war, in Dichondra. Aber selbst dieser kleine Triumph wurde ihr versalzen – wurde zerstört, zermalmt, in der Wiege erdrosselt –, als sie nach einer bescheidenen Feier mit zwei Kommilitonen nach Hause kam, die neue Ausgabe des Atlantic aus dem Briefkasten nahm und darin Jane Shines Story fand – genau die gleiche überkandidelte Sex-Saga, die sie beim Workshop in Iowa präsentiert hatte – im vertrauten strengen Druckbild zwischen einem Sehr Bedeutenden Artikel und einem Sehr Bedeutenden Gedicht. Und dann erschienen Janes Geschichten in rascher Folge in Esquire , im New Yorker und der Partisan Review , dann wurde ein Band mit Erzählungen publiziert, ihr Bild war überall, und die Kritiker – die ausschließlich männlichen Kritiker – überschlugen sich fast, auf den staunend geöffneten Lippen das höchste und ausgesuchteste Lob ihrer ganzen Karriere. Ja, Ruth kannte sie.
    »Was meinst du damit?«, fragte sie.
    »Sie inszeniert gern einen richtigen Auftritt, das meine ich. Die Spannung soll noch ein bisschen steigen, sie will uns schmoren lassen. Sie ist unglaublich, wirklich. Eine von den ganz großen.«
    Es war ein peinlicher Augenblick. Schlimmer noch: ein Augenblick nagender Verzweiflung, von Misserfolg und Mutlosigkeit. Direkt konnte sie an der Statue Jane Shine nicht kratzen – Jane und Irving Thalamus hatten beide bei einer Schriftstellerkonferenz in Puerto Vallarta Vorträge gehalten, wo sie Seelenverwandte und ewige Kumpel geworden waren, wenn nicht noch etwas Intimeres –, aber es war für Ruth, als triebe man ihr Angelhaken durch die Haut, wenn sie hören musste, wie Jane Shine gelobt, ja auch nur erwähnt wurde. Ruth zermarterte sich gerade das Hirn nach irgendeiner vernichtenden Bemerkung, die sich mit dem Mäntelchen einer positiven, bejahenden, haß- und eifersuchtsfreien Aussage tarnen ließe, so als läge ihr der Wunsch völlig fern, Jane Shine möge sämtliche Haare und Zähne, ihr gutes Aussehen und die paar Spurenelemente von Talent verlieren, die sie haben mochte, als jemand ausrief: »Seht mal, da kommt ein Auto!«
    Ruth erstarrte, eine keineswegs namenlose, sondern sehr spezifische Angst stieg in ihr auf, sodass sie sich fühlte wie die Heldin eines billigen Horrorfilms, die in eine sich plötzlich auftuende Erdspalte hineingerissen wird. In dem geschliffenen, rechteckigen Fenster der Eingangshalle erschien nun ein silberner Sportwagen Marke Jaguar, der graziös heranglitt und vor der Tür stehen blieb. Das Verdeck war aufgeklappt. Die Speichenräder blitzten im Licht. Hinter dem Lenkrad saß ein Mann – kantiges Kinn, nordischer Typ, hellblonde Haare, fluoreszierend weiße Zähne –, und neben

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