Der Samurai von Savannah
zu – »schwach und hilflos, wie ich bin, und überall bin ich immer nur auf Höflichkeit, Höflichkeit, Höflichkeit gestoßen – Manieren, die sind Ihrem Volk ja so wichtig. Manieren machen eine Gesellschaft aus. Nun, Sie müssen mich ja für schrecklich unpatriotisch halten, wenn ich solche Sachen sage, aber wissen Sie, ich bin Südstaatlerin, und ich denke, wir können gut verstehen, wie man sich als besiegte Nation fühlt, nicht wahr? Wie sagten Sie doch gleich, dass Ihr Name war?«
Hiro saß an dem massiven Mahagonitisch in Ambly Woosters riesigem, scheunenhoch aufragendem Haus in Tupelo Shores Estates. Er hatte den ersten Gang hinter sich, eine sahnige Suppe, crème de sonst was, und er sah hinaus auf die grau heranklatschenden Wellen des Ozeans, nickte artig und betete innerlich, das schwarze Hausmädchen möge bald aus der Küche kommen und einen Teller Fleisch oder Reis bringen, irgend etwas Festes, das er sich wie ein Eichhörnchen in die Backen schieben könnte, ehe jemand den Schwindel aufdeckte und ihn zur Tür hinauswarf. Die alte Dame saß ihm gegenüber und redete ununterbrochen. Sie hatte nicht aufgehört zu reden, nicht einmal richtig Atem geholt, seitdem er neben ihr auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Und jetzt, während er die einbrechende Dämmerung beobachtete und den Impuls niederkämpfte, dem Mädchen in der Küche Gewalt anzutun, wenn es nicht sofort Fleisch, Reis und Gemüse hereinbrächte, da fragte ihn die Frau nach seinem Namen. Er geriet in Panik. Das Blut schoss ihm in den Kopf. Wie hieß er noch schnell – Shigeru! Shinbei? Seiji?
Doch dann redete sie weiter, ohne seine Antwort abzuwarten, schwatzte über Blumenarrangements, Teezeremonien, Geishas und Roboter (»… so unfair ist das, wenn diese Boulevardblätter – genau das sind sie nämlich, sie streiten es ja nicht einmal selbst ab –, richtig un fair und un verantwortlich ist das, ein so vernünftiges, hart arbeitendes, ernsthaftes und selbstbeherrschtes Volk wie das Ihre als Roboter zu bezeichnen, die in Karnickel ställen leben, schändlich ist das, einfach schändlich, richtig wütend macht mich das …«), und Hiro entspannte sich wieder. Seine Funktion hier war das Zuhören. Zuhören und essen. Und wie zur Bekräftigung seines Gedankens flog in diesem Moment die Küchentür auf und das Hausmädchen kam herein, in den Händen ein Tablett mit zwei faszinierenden Holzschalen.
Eine stattliche Frau, dieses Hausmädchen, massig wie ein Sumo-Ringer, mit bösartigen rotfleckigen Äuglein und einem drahtigen Haarfilz, der zu schmalen Zopfreihen geflochten war, zwischen denen die schwarze Kopfhaut durchschimmerte. Ihre Nase war platt ins Gesicht gedrückt, und sie brachte einen widerwärtigen Gestank mit sich, den Geruch der hakujin , der Fleischfresser und Butterstinker, nur noch schlimmer. Von dem Augenblick an, in dem er mit seinen zerrissenen Schuhen und herabhängenden Heftpflastern durch die Tür getreten war und sich über die Schale mit Nüssen auf dem Couchtisch hergemacht hatte, lag ihr angewiderter Blick auf ihm, als wäre er Ungeziefer, als wäre er etwas, das sie zertreten würde, wenn er nicht unter dem Schutz ihrer bekloppten alten Herrin stünde. Sie durchschaute ihn. Das wusste er. Und als sie jetzt durch die Tür kam, warf sie ihm einen lodernden Blick zu, der besagte, dass sein Stündchen noch schlagen werde, und dann werde es kein Pardon geben. Hiro wich ihrem Blick aus.
»Es gibt doch nichts Praktischeres als einen Futon, das sage ich immer, und ich habe gerade neulich erst zu Barton gesagt – das ist mein Mann, Barton, er ist Invalide – oh, vielen Dank, Verneda –, also ich sagte zu Barton: ›Weißt du, Barton, diese Möbel hier, diese düsteren Antiquitäten, die stopfen uns doch nur das Haus voll, ohne zu etwas gut zu sein; die Japaner zum Beispiel, die haben nicht einmal Schlafzimmer –‹« Hier hielt die alte Dame einen Moment lang inne, und ein ratloser Ausdruck legte sich über ihre bisher völlig unbewegten Züge. »Andererseits, wo liegen denn Ihre Kranken und alten Leute, wenn sie Bettruhe brauchen? … Nun, ich nehme an, in Ihren hervorragenden Krankenhäusern, den besten der Welt, unsere Mediziner können denen jedenfalls nicht das Wasser reichen, wenn man sich die hiesige Ärztevereinigung mit ihren kleinlichen Streitereien ansieht und unsere armen Studenten, die ihre Ausbildung in Puerto Rico und Mexiko und all diesen schmutzigen, grässlichen Dritte-Welt-Ländern machen
Weitere Kostenlose Bücher