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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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gekommen, da tauchte ein zweiter Wagen auf, diesmal tauchte er aus der Höhlung des Horizonts direkt vor ihm auf. Er senkte den Blick, als das Auto auf ihn zufuhr. Lang gestreckt und dunkel, der Kühlergrill wie eine Reihe Zähne, das hohe verschwenderische Heulen eines amerikajin -Motors, dann raste auch dieser Wagen vorbei, schon verblasste die Erinnerung an den dummen, ungerührten Ausdruck im bleichen Gesicht des Fahrers, schon war er unwichtig. Nur hatte das Phantom des zweiten Wagens die Gegenwart eines weiteren verschleiert, und nun wurde ihm plötzlich bewusst, dass ein drittes Fahrzeug nicht nur unbeobachtet hinter ihm aufgetaucht war, sondern jetzt noch dazu abbremste: Direkt neben ihm schob sich die riesige, dämonische Masse des weißen Kotflügels in sein Blickfeld. Bleib ganz ruhig, sagte er sich, achte nicht darauf. Die Reifen knirschten auf Kies. Unbestreitbar funkelte dieser Kotflügel, weiß und gespenstisch, die lang gezogene Stahlschnauze einer ganzen Rasse bedrängte ihn. Mahnende Worte von Jōchō schossen ihm durch den Kopf, aber er konnte sich nicht beherrschen. Er blickte auf.
    Was er sah, war ein alter Cadillac, mit Heckflossen und funkelnden Verzierungen, die Sorte Auto, in der Fernsehstars und Rocksänger durch die Straßen von Tokio kutschierten. Auf dem Fahrersitz, so tief in die Polster gesunken, dass sie kaum durchs Seitenfenster sehen konnte, saß eine verschrumpelte alte hakujin mit tief gebräunter Haut, ihr Haar von der Farbe zertrampelten Schnees. Sie bremste auf Schritttempo ab und sah Hiro an, suchte seinen Blick, als wären sie alte Bekannte. Entnervt wandte er sich ab und ging etwas schneller, doch der Wagen hielt mit ihm Schritt, der massige weiße Kotflügel schwebte beharrlich neben ihm, als ob er ihn magnetisch anzöge. Hiro verkrampfte sich, war verwirrt und verärgert: Was wollte diese Frau von ihm? Warum fuhr sie nicht einfach weiter und ließ ihn in Ruhe? Und dann hörte er ein elektrisches Surren, als das Fenster geöffnet wurde, und er sah wieder auf. Die alte Dame lächelte. »Seiji«, sagte sie, in ihrer Stimme lag Begeisterung, leidenschaftliche, ungezügelte Begeisterung. »Seiji – sind Sie es wirklich?«
    Verwundert blieb Hiro stehen. Der Wagen hielt ebenfalls an. Die alte Dame klammerte sich ans Lenkrad, beugte sich zu ihm hinüber und starrte erwartungsvoll auf den breiten Beifahrersitz. Er hatte diese Frau noch nie im Leben gesehen, und soweit er wusste, war er auch nicht Seiji – obwohl er es im Augenblick eigentlich ganz gern gewesen wäre. Rasch warf er prüfende Blicke in beide Fahrtrichtungen. Dann beugte er sich zu dem Autofenster hinab.
    »Ich bin es, Seiji«, sagte die alte Dame, »Ambly Wooster. Erinnern Sie sich nicht mehr? Vor vier Jahren – oder sind es schon fünf? – in Atlanta. Sie haben damals ein wunderschönes Konzert dirigiert. Ives, Copland und Barber.«
    Hiro rieb sich mit der Hand über die stopplige Borstenfrisur.
    »Ach, diese Chorstimmen«, seufzte sie. »Und welche Nuancen Sie bei Billy the Kid herausgearbeitet haben! Großartig, einfach großartig!«
    Hiro musterte sie einen Moment – nur für einen Herzschlag, nicht länger –, dann lächelte er. »Ja, richtig«, sagte er, »ich erinnere gut.«
    »Ihr seid so schlau, ihr Japaner, mit euren Autofabriken und eurer Suzuki-Technik und diesem prachtvollen Satsuma-Porzellan – immer fleißig wie die Bienen, was? Ihr macht ja jetzt auch eigenen Whiskey, wie ich höre, und natürlich habt ihr auch Bier – euer Kirin und Suntory und Sapporo –, und die sind ja wohl mindestens genauso gut wie alles, was die schlampigen Brauereikonzerne bei uns hier zusammenpanschen können, nur dieser Sake! Sake! Ich habe es nie verstanden, wie ihr dieses grässliche Zeug trinken könnt. Aber euer Bildungssystem, also das ist ja wirklich ein Weltwunder, all diese Techniker und Wissenschaftler und Chemiker und was es da noch alles gibt, und nur, weil ihr euch nicht vor der Arbeit scheut und alles von der Pike auf lernt und so weiter. Wissen Sie, manchmal wünsche ich mir, Japan hätte den Krieg gewonnen – ich denke mir, das hätte dieser charakterschwachen Gesellschaft viel besser getan, diese vielen Raubüberfälle, Millionen von Obdachlosen, Aids, aber bei Ihnen gibt es ja überhaupt keine Verbrechen, nicht wahr? Also ich bin zu Fuß durch die Straßen von Tokio gegangen, zur Geisterstunde und noch später, na, ich sage Ihnen: viel später« – hier zwinkerte ihm die alte Dame etwas überspannt

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