Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
Vom Netzwerk:
bemitleidenswert – wenn sie je daran gezweifelt hatte, so war sie sich jetzt ganz sicher.
    Das Grinsen war plötzlich erloschen, er wurde langsam unruhig und sah sich im Zimmer um. »Hiro ich heiße«, stieß er abrupt hervor und streckte dabei die Hand aus. »Hiro Tanaka.«
    Ruth nahm seine Hand und verbeugte sich mit ihm, als handelte es sich um den Auftakt eines Menuetts. »Ich bin Ruth«, sagte sie »Ruth Dershowitz.«
    »Ja«, sagte er und sein Lächeln kehrte zurück, seine Zähne blitzten. »Rusu, ich mich sehr freue, dich kennenzulernen.«

DIE ANDERE HÄLFTE
    Sieben Tage zuvor hatte Hiro Tanaka regungslos am Rand der Blasen werfenden Asphaltstraße gestanden, die ihm Erlösung versprach, jener Straße, die zu der schnellen, sauberen Autobahn und zu all den anonymen Städten an deren Ende führte. Er zögerte, blickte erst nach rechts und dann nach links, doch die Straße verlor sich in beiden Richtungen ins Endlose. Es sah ziemlich trostlos für ihn aus, das musste er sich eingestehen. Die Sekretärin und ihre Essensrationen gehörten der Vergangenheit an, dazwischen lagen Schlamm und Gestrüpp, während direkt vor ihm die untergehende Sonne den Weg nach Westen wies, wo ein wilder Kontinent und ein noch wilderer Ozean zwischen ihm und dem Ort lagen, dem er für immer den Rücken gekehrt hatte – auch wenn er sich gerade vor Heimweh verzehrte. Was hätte er nicht für die gähnende Langeweile des Nudelladens an der Ecke gegeben, wo das einzige Interessante die Nudeln waren? Oder für die Ruhe des zwanzig Reisstrohmatten großen Parks gegenüber der Wohnung seiner Großmutter, wo die Natur aus gestutzten Büschen und ordentlichen Blumenbeeten bestand und ein Wasserrinnsal sich über glitzernde einzementierte Steine ergoss. Er erinnerte sich noch, wie er als Junge auf der Bank gesessen und Comics oder die neueste bēsubōru -Zeitschrift gelesen hatte und wie das Murmeln des Wassers ihn stundenlang der Wirklichkeit entrückt hatte.
    Jetzt aber hatte es keinen Sinn, diesen Gedanken nachzuhängen – all das hatte er verloren. Jetzt war er in Amerika, wo die urtümliche Natur tobte, ein brodelnder Hexenkessel voll schnappender Reptilien, Insekten und Schmutz, wo hinter jedem Baum halbwahnsinnige Neger und mordgierige Weiße lauerten – jetzt war er in Amerika und hatte ein neues Leben vor sich. Und im Augenblick wollte er eigentlich nur nach rechts, nach Norden – dort lagen die großen Mischlingsstädte, das wusste er –, aber diese Richtung hatte er schon einmal eingeschlagen, da ging es zu dem Coca-Cola-Laden mit seinen kaum menschenähnlichen Besitzern und schwachsinnigen Kunden, und dieses Erlebnis hatte ihm gar nicht gefallen. Also wandte er sich nach links und brach auf gen Süden.
    Diesmal marschierte er direkt am Straßenrand, trotzig und wütend. Wenn sie ihn fangen wollten, würde er kämpfen. Sollten sie doch zur Hölle fahren, diese langnasigen Mistkerle. Zum ersten Mal seit Wochen trug er saubere Kleidung – hakujin -Kleider –, und er wollte verdammt sein, wenn er sich wieder in den stinkenden Straßengraben verkroch wie ein verschrecktes Kaninchen. Ihm reichte es jetzt. Er hatte genug. Zur Not würde er den ganzen Weg bis zu der Stadt der brüderlichen Liebe zu Fuß gehen. Auf den eigenen zwei Beinen. Und Gott stehe allen bei, die sich ihm in den Weg stellten.
    Er marschierte, einen Fuß vor den anderen setzend, die Sonne sank, die Moskitos schwärmten, und die Straße blieb immer gleich. Bäume und Büsche, Schlingpflanzen und Lianen, Stämme, Äste und Zweige. Vögel schwirrten hoch über ihm, Insekten tanzten vor seinen Augen. Er sah zu Boden: Die Straße war mit den Leichen von Eidechsen und Schlangen gefleckt, dünn wie Oblaten und lederhart gebrannt. Er blickte wieder auf und sah vor sich etwas über den Asphalt huschen. Bald scheuerte der Baumwollstoff der Turnschuhe an seinen Knöcheln.
    Und dann hörte er es, hinter sich: das leise saugende Geräusch eines Motors, das Schwirren von Reifen. Er zog die Schultern ein und biss die Zähne zusammen. Diese Schweine. Hakujin -Arschlöcher. Er würde sich nicht umdrehen, würde nicht hinsehen. Das Motorgeräusch kam näher, die Reifen summten auf dem Asphalt, das Herz rutschte ihm fast in die Hose … und dann fuhr es an ihm vorbei, ein heißer Luftschwall, verrostete Kotflügel, ans Rückfenster gepresste Kindergesichter. Gut, dachte er, gut, obwohl er schweißüberströmt war und seine Hände zitterten.
    Er war keine hundert Meter weit

Weitere Kostenlose Bücher