Der Samurai von Savannah
war mondhell, der Pfad nahm unter ihren Schritten Gestalt an. Von einer Sekunde auf die andere ebbten die Geräusche des Festes ab, wurden von der empfindungslosen Masse des Laubes aufgesogen, und sie nahm die leiseren Klänge der Nacht wahr, das Rascheln und Keckern der Tiere, die dort töteten, fraßen, vögelten. Sie sah Glühwürmchen und Moskitos, hörte den leisen, kehligen Ruf einer Eule. Ihre Beine schritten mechanisch aus, die Füße hoben und senkten sich. Weshalb war sie eigentlich so durcheinander? Na gut, er hatte mit ihr geredet, und na gut, sie hatte die Hand auf seinen Arm gelegt. Das bedeutete gar nichts. Oder doch? In diesem Moment fiel das Argument in sich zusammen, und sie wusste genau, dass diese Hand auf seinem Arm etwas bedeutete – alles bedeutete – und dass er es auch wusste. Natürlich wusste er das. Und er hätte es besser wissen sollen. Von Neuem stieg die Wut in ihr auf, brannte wie Säure, jetzt sogar noch stärker, weil der Schock der Entdeckung vorüber war. Und Saxby würde dafür bezahlen – oh, und wie er dafür bezahlen würde.
Jetzt aber, ehe sie es recht bemerkte, hatte sie die vertraute scharfe Kurve erreicht, und das Studio lag vor ihr, in Mondlicht getaucht. »Hiro«, rief sie und kümmerte sich einen Dreck darum, ob sie die ganze Welt hören konnte. »Hiro, ich bin’s. Ich bin wieder da.«
Er hatte furchtsam von innen verriegelt, und sie rüttelte an der Klinke der Fliegentür. »Hiro, wach auf. Ich bin’s.«
»Rusu?« Seine Stimme drang aus der Tiefe des Zimmers an ihr Ohr, verschlafen und fragend, und dann sah sie, wie sich seine verschwommene Gestalt von der Couch erhob und er nach den Shorts griff. Er war nackt, das Mondlicht fiel schräg durch die Fenster auf seine etwas gekrümmten Beine und die ungelenk herabhängenden Arme. »Ich komme«, rief er, und sie sah, wie er sich zurück ins Dunkel bewegte, um erst ein Bein, dann das andere in das schwarze Loch der Shorts zu heben.
»Wie spät ist?«, fragte er, als er die Tür öffnete, um sie hereinzulassen. »Es gibt Probleme?«
»Nein, gar nicht«, sagte sie und wandte sich ihm zu.
»Soll ich machen Licht?« Er war da, direkt neben ihr. Sein Atem roch abgestanden vom Schlaf, seine Haut schimmerte im Mondlicht.
»Nein« erwiderte sie, und sie flüsterte jetzt, »nein, wir brauchen kein Licht.«
PARFAIT IN CHROM
Er wusste gar nicht, weshalb sie sich so aufregte – wirklich nicht. Nach der Party sah sie ihn volle sechs Tage nicht einmal an, geschweige denn, dass sie mit ihm sprach. Saxby war klar, dass es mit Jane Shine zu tun hatte und mit Ruths persönlicher Unsicherheit, und ihm war auch klar, dass er Geduld mit ihr haben musste – aber ihr musste auch etwas klar sein, nämlich dass er reden konnte, mit wem er wollte. Nur weil Ruth sich jedesmal halb in die Hosen machte, wenn Jane Shine auch nur erwähnt wurde, hieß das ja nicht gleich, dass er die Frau wie eine Aussätzige behandeln musste, oder? Er mochte sie recht gern. Sie war – er dachte an ihr Haar, ihre Augen, ihren Hals, das kaum merkliche Lispeln, das ihre Worte so klingen ließ, als würde sie aus dem kastilischen Spanisch übersetzen – interessant. Und außerdem: Sonst hatte er ja nichts gemacht – nur mit ihr geredet –, und wenn Ruth deshalb so in Rage geriet, warum hatte sie ihn dann überhaupt allein vorgeschickt? Was erwartete sie denn – dass er taub, stumm und blind herumlief? Dass er in einer Ecke stand, eine Sonnenbrille auf der Nase und in der Hand ein Schild mit der Aufschrift EIGENTUM VON R. DERSHOWITZ , bis sie sich herbemühte?
Es stimmte schon – er hatte sich ein wenig mitreißen lassen, von dem vielen Champagner und der Musik und dem allgemeinen Trubel des Fests, und über längere Strecken hatte er Ruth sogar gänzlich vergessen. Er amüsierte sich eben – war das ein Verbrechen? Sie hatte sich verspätet. Machte sich noch fertig. Ich komme nach, und wir treffen uns dort, hatte sie gesagt. Also ging er an die Bar, schick angezogen und ohne Pläne, und da stand auf einmal Jane Shine neben ihm. »Hallo«, sagte sie, und als soziales Wesen, das er war, erwiderte er ihren Gruß. Sie holte Luft und sagte, Irving habe ihr erzählt, er, Saxby, sei an Aquaria interessiert – so sagte sie es: »an Aquaria interessiert« –, und da biss er an. Sie habe als Kind selbst mehrere Aquarien gehabt, und ihr Ex-Mann sei mit ihr in einem Einbaum den Orinoco hinaufgefahren, und dort hätten sie Herbert Axelrod höchstselbst
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