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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Das Zelt, das über der Tanzfläche errichtet war, hatte eine hohe Kuppel und war an allen Seiten für den lauen Wind offen, und als Ruth den Weg entlangschritt, sah sie Konstellationen von japanischen Lampions, die sich langsam um die großen Aluminiumpfeiler drehten, an denen sie hingen. Sie trat in einen mit Schnittrosen dekorierten Laubengang, wo ihr ein Schwarzer mit schwarzem Schlips und weißen Handschuhen ein Tablett mit unzähligen Gläsern voll Champagner hinhielt. Tara, dachte sie. Der Alte Süden. Eine Szene aus Vom Winde verweht.
    Im nächsten Moment merkte sie, wie sehr sie sich geirrt hatte.
    Falls sie vorgehabt hatte, sich unter Applaus, bewundernden Pfiffen und in einem Blitzlichtgewitter in die Menge zu werfen wie Scarlett O’Hara persönlich, wurde sie schwer enttäuscht. Es war beinahe, als wäre sie auf der falschen Party gelandet – sie kannte überhaupt niemanden. Einen Moment lang stand sie im Eingang, um sich zu orientieren, einen nackten Ellenbogen in die Handfläche gestützt, die das Glas haltende Hand elegant im Gelenk abgeknickt. Die meisten Frauen auf dem Fest sahen aus, als hätten sie ihre Roben von der Stange gekauft, und die Männer waren alle in Hemden und Jacketts gestopft, die ihnen mehrere Größen zu klein schienen. Rot dominierte bei den Gesichtern, Glatzen, nackten Schultern und Armen, Weiß bei Haaren. Ruth hatte etwas Magisches – oder wenigstens Elegantes – erwartet, und stattdessen war sie auf den Geriatrie-Ball des Landwirtschaftsverbands geraten.
    Sie tauschte ihr leeres Glas gegen ein volles ein, ging auf die Tanzfläche und hoffte, dort jemanden von Thanatopsis House zu treffen – oder zumindest irgendwen, der unter sechzig war. Nachdem sie behände einer älteren Frau mit einer Aluminium-Gehhilfe ausgewichen war und sich ihren Weg durch eine Gruppe von Männern mit schütterem Haar, näselndem Akzent und teuren Anzügen gebahnt hatte – Rechtsanwälte, nahm sie an –, befand sie sich plötzlich auf Kollisionskurs mit Clara Kleinschmidt und Peter Anserine. Die beiden standen leicht vorgeneigt nebeneinander, in den Händen Champagnergläser und Servietten, auf denen irgendwelche Häppchen lagen. Sie aßen schnell und gierig und redeten dabei. Claras Augen waren feucht. Sie trug ein bodenlanges Kleid mit langen Ärmeln, Schulterpolstern und Strassapplikationen auf der Brust. Von der Hüfte aufwärts erinnerte es an eine russische Uniform.
    »Clara, Peter«, begrüßte sie Ruth und schob sich zwischen die beiden. »Prima Party, was?«
    »Oh, hallo«, sagte Peter Anserine nonchalant und musterte sie interessiert. An seiner Lippe klebte etwas Ei und Kaviar. Er schien froh, sie zu sehen – oder froh über die Unterbrechung. Ruth konnte in diesem Augenblick an nichts anderes denken als an das saftige Gerücht, das die beiden – den großen, geistvollen, geschiedenen Brahmanen der Romanciers und die schlichte Clara – für mindestens eine leidenschaftliche Nacht miteinander verknüpfte.
    »Hallo, Ruth«, stieß Clara hervor und knabberte kummervoll an der Scheibe Toast mit Fischeiern, die trostlos auf ihrer Handfläche lag. Der verwegene Blick ihres Schielauges wirkte noch verwegener als sonst. Und ja, das waren tatsächlich Tränen.
    »Fantastisch«, sagte Peter Anserine. »Wirklich. Die beste Party, auf der ich war, seit letzten Frühling in Boston.«
    Ruth blieb am Ball, nutzte die Peinlichkeit des Augenblicks, um Anserine aus der Reserve zu holen, ihn auszufragen, wenn er seine Deckung schon einmal fallen ließ. Fehlte ihm Boston eigentlich nicht? Er würde also im Herbst wieder nach Amherst gehen, ja? Nur für das Semester oder für ein ganzes Jahr? Und dann zurück nach Boston, oder –
    »Ja, also«, begann er als Antwort auf diese letzte Frage, wobei er einen Seitenblick auf den Kellner warf, der sich mit einem Tablett voller Esswaren vorbeischlängelte, »natürlich ist Boston meine Stadt. Aber ich muss mir auch erst noch eine kleine Wohnung suchen. Um nahe bei den Kindern zu sein.«
    Clara war ganz mit ihrem Essen beschäftigt, immer noch vorgebeugt und auf den schwierigen Jongleurakt mit Serviette, Glas und Häppchen konzentriert.
    »Wunderbar«, sagte Ruth, »einfach wunderbar. Du wirst uns hier fehlen, wirklich.« Es entstand eine verlegene Pause, in der niemand ein Wort sagte. Die Kapelle verstummte kurz und dröhnte dann wieder mit einer gellenden Version von Nature Boy los, während Peter Anserine Ruth mit einem langen, musternden, unzweifelhaft

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