Der Samurai von Savannah
übel und bang zugleich, sie fühlte sich wie Madame Butterfly, der man gerade das Kind wegnehmen will: Saxby saß mit Jane Shine zusammen.
Jane Shine.
Es war ein Schlag, der sie ins Wanken brachte. Da war diese Frau, die sie von allen Lebewesen am meisten verabscheute, ihre Feindin, ihre Heimsuchung, ihr Popanz, und sie hatte Saxby in ihren Klauen. Makellos, ekelerregend, cool wie ein Fotomodell auf dem Laufsteg, schmiegte sie sich an Saxby, die kalte weiße Hand wie einen Enterhaken in seinen Arm gekrallt. Ruth sah schwarze Seide und Diamanten, eine Angriffswelle, eine aufgewühlte Wolke von Haar, die Saxby in ihre todbringende Aura hüllen wollte, und auf einmal stellte sie sich Saxby im Jaguar vor, Jane Shine als etablierte Doyenne von Thanatopsis House, ihr eigener Aufenthalt rätselhaft rasch abgebrochen. Es war zu viel. Ruth wurde damit nicht fertig. Sie zuckte zurück wie von einem unaussprechlichen Schrecken gepackt – Saxby hatte sie noch nicht gesehen, und Shine und Thalamus auch nicht –, und dann fing Regina ihren Blick auf und lächelte – oder griente –, und Ruth kämpfte sich durch das Gedränge davon, wobei sie Thalamus’ fragendes »Ruthie?« hinter sich hörte und sah, wie auf der Bühne der Klavierspieler von seinem Hocker aufgestanden war und die Tasten jetzt mit Füßen, Ellenbogen und seinem Hinterteil bearbeitete, und die Menge grölte, grölte.
Ein Messerstich in den Rücken. Verrat. Eben noch hatte sie die weinende Clara Kleinschmidt beschmunzelt, auf ihrem Olymp über allem stehend, La Dershowitz, und jetzt – jetzt spürte sie selbst brennende Tränen aufsteigen. Wie konnte er? Wie konnte er mit ihr auch nur reden? Blind schob sich Ruth durch die Menge. Sie fühlte sich wie geohrfeigt, gedemütigt, und ihr blieb kein anderer Ausweg, als davonzulaufen und sich zu verstecken. Sie drängte sich an dem alten Kellner vorbei – Aus dem Weg, Onkel Tom!, dachte sie bitter; sein Blick, nicht mehr als ein ganz kurzes Heben der Lider, entgegnete: Schande –, und die Gruppe der Rechtsanwälte mit dem schütteren Haar musste ihr mit einem kleinen Tanzschritt ausweichen. Vage nahm sie die Bläser wahr, die durch das zweite Zelt gellten, als der Boogie in einem donnernden, ohrenbetäubenden Finale endete, und dann sah sie den ersehnten Ausgang vor sich.
Sie war draußen – Mach, dass ich mich noch beherrschen kann , betete sie, lieber Gott, bitte lass mich noch nicht hier zusammenbrechen –, ging durch den Laubengang, rannte praktisch schon, als am anderen Ende Septima auftauchte, mit frisch gefärbtem, dauergewelltem Haar und so stark geschminkt, dass sie zwanzig Jahre jünger aussah. Allein ihre Robe war mehr wert als alle anderen Fetzen von Kleidung auf diesem Fest zusammen, und mit ihrem aus dem Tresor befreiten Schmuck begab sich Septima zu ihrem ganz persönlichen großen Auftritt. An Owens Arm. Sie schien auf ihren hohen Absätzen leicht zu schwanken, als Ruth auf sie zukam, und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. »Aber Ruthie«, stieß sie hervor und hielt sie mit einer dürren, blaugeäderten Hand auf, die sich für Ruth wie der Griff des Todes anfühlte, »was ist denn mit dir passiert? Du bist ja bleich wie ein Gespenst.«
Ein Gespenst, ja: sie war praktisch schon weg. Und was kümmerte das schon Septima? Oder Owen – der sie angrinste, aus der dunklen Nacht heraus ansah wie ein Scharfrichter? Wahrscheinlich hatten sie schon ihre Taschen für sie gepackt – sie galt nichts mehr hier, war nur ein Gespenst, und Jane Shine war alles. »Ich – gar nichts«, stammelte sie mit überquellenden Augen, »ich bin bloß … ich kann nicht –«, und dann riss sie sich los, schüttelte die Hand der alten Hexe ab und rannte über den Rasen davon, während in ihrer Kehle die Galle von achtzehn Jahren Zurücksetzung und Niederlagen hochstieg.
Ihr erster Gedanke war es, in ihr Zimmer zu fliehen, die Tür hinter sich zuzuknallen und die Welt in Reglosigkeit erstarren zu lassen – aber auf der Veranda, in der Eingangshalle und im Salon waren Gäste, plauderten und lachten, hielten sich an Drinks fest und vertilgten Fleisch- und Käsehäppchen. Sie konnte ihnen nicht gegenübertreten. Nicht jetzt. Nicht in diesem Zustand. Und dann dachte sie an ihr Studio. Das war ihre Zuflucht, ihr sicherer Unterschlupf, dort regierte sie noch immer und war La Dershowitz – und dort war auch ihr Hiro.
Sie mied das Große Haus und überquerte den Rasen in die andere Richtung, in Eile jetzt, die Nacht
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