Der Samurai von Savannah
zu, das bleiern wie der Tod in seinem Magen lag. Ruth war nicht in ihrem Zimmer. Ihre Kosmetika – Mascara, Lippenstift, Tiegel mit dieser und jener Creme – standen wild auf dem Toilettentisch verstreut, und ihr Bett war unberührt. Oder es war schon wieder gemacht. Immerhin war es ja zwei Uhr. Um diese Zeit war sie längst in ihrem Studio und arbeitete. Einen Augenblick lang durchzuckte ihn die Idee, hinüberzuwandern und das Rätsel rund um die Party aufzuklären – sowie jedes eventuelle Missverständnis, das damit verbunden sein mochte –, aber seine Beine fühlten sich an wie Wachs, und er ging lieber in sein Zimmer zurück, um sich ein bisschen hinzulegen, bis sich die Welt wieder an ihn angepasst hatte.
Er erwachte zum Abendessen und fühlte sich ausgelaugt wie Stroh. Nachdem er sich das Gesicht gewaschen und das Haar mit etwas Gel aus der Stirn gekämmt hatte, wankte er wieder die Stufen zu Ruths Tür hinauf. Diesmal hatten seine Finger kaum das Holz berührt, da flog die Tür auf.
Vor ihm stand Ruths kleine Gestalt, ihr Gesicht blutleer, ihre Augen wie Glassplitter, eiskalt und böse funkelnd. »Du Mistkerl!«, sagte sie.
»Aber ich –«
»Erzähl das doch Jane Shine«, fauchte sie, und die Tür krachte mit einem Knall ins Schloss, der im ganzen Korridor widerhallte.
Gerade wollte er nach dem Türknopf greifen, ihren Namen rufen, seine Unschuld beteuern, da hörte er das Kratzen von Holz auf Holz und sah die Türfüllung erbeben, als ein massiges Erbstück von innen dagegengeschoben wurde. Er konnte sich nicht beherrschen und probierte den Türknopf trotzdem. Drehen ließ er sich, aber die Tür selbst ging keinen Millimeter weit auf.
Sie hatte ihn mit Jane Shine gesehen – das war es also. Es war ihm zwar unangenehm, aber er hatte ein gutes Gewissen. Wirklich. Und während er ratlos im Gang stand und Grüppchen von Künstlern sich auf dem Weg zum Abendessen an ihm vorbeidrückten, freundlich grüßend und wissend lächelnd, fühlte er sich missverstanden, verkannt und gekränkt, ohne Gerichtsverhandlung abgeurteilt. Aber Ruth war heißblütig – er kannte ihr Temperament nur allzu gut –, und er hatte nicht vor, sie durch die verrammelte Tür hindurch anzuflehen, während gefeierte Komponisten und Legenden der jüdisch-amerikanischen Prosa grinsend an ihm vorbeischlenderten. Letztlich stand er zwei volle Minuten lang sprachlos da, dann zuckte er die Achseln und ging zum Abendessen hinunter.
Im Lauf der nächsten Tage versuchte er, an Ruth heranzukommen, es wiedergutzumachen, ihr alles zu erklären – obwohl er sich nichts vorzuwerfen hatte, höchstens dass er bei ihren neurotischen Spielchen auch noch mitspielte. Aber sie redete nicht mit ihm. Sie wandte sich in aller Öffentlichkeit von ihm ab, reagierte nicht auf sein Klopfen, verkroch sich länger und länger in ihrem Studio. Ihn deprimierte die ganze Sache, und je trübseliger er wurde, desto mehr suchte er die Gesellschaft von Jane Shine, beim Cocktail, beim Abendessen oder spät nachts im Billardzimmer. Er spielte mit dem Feuer, das war ihm völlig klar, aber nicht nur Ruths Verhalten deprimierte ihn, auch sein Projekt gedieh nicht so recht – und Jane Shine mit dem wissenden Lächeln, den schimmernden Augen und ihrem kundigen Geplauder über Fische lieh ihm verständnisvoll ihr Ohr.
Das größte Problem an dem Projekt war, dass es einfach nicht in Gang kam. Falls der Albino-Zwergsonnenbarsch je existiert hatte, war er inzwischen ausgestorben, war den Weg der Dronten und Dinosaurier gegangen – jedenfalls schien es so. Saxby hatte eine Fangprämie ausgesetzt – fünfzig Dollar pro Fisch –, für jeden Entomologen, Fischforscher und Amateuraquarianer, der im Staate Georgia sein Netz in tote Wasser, Flüsschen, Rinnsale, Bäche, Stromschnellen und Altarme tauchte, aber niemand hatte sich gemeldet. In seinen eigenen Netzen tummelten sich lauter interessante Dinge: junge Stichlinge und Welse, Schmuckschildkröten, Frösche, frisch geschlüpfte Wassermokassinschlangen im Pfeifenreinigerformat und auch etliche Handvoll glitzernder Elassoma okefenokee (natürlich waren sie immer nur braun, enttäuschend und unabänderlich braun, die Farbe von Scheiße und gebrochenen Herzen). Kein einziger milchig-weißer Mutant steckte seinen schuppigen kleinen Kopf aus dem Fangkorb. Aus Langeweile und Ungeduld und trotz seines ursprünglichen Vorsatzes nahm er schließlich doch etwas für sein Aquarium mit nach Hause. Er konnte nicht widerstehen. Er
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