Der Samurai von Savannah
ihn richtig hilflos. Wie konnte er diese Stimme infrage stellen? Sie sprach, und er fühlte sich wie ein stürzender Baum.
»Ansonsten« – sie machte eine Geste in Richtung des zappelnden Fisches – »tja, da kannst du dir ja alles Mögliche einschleppen.«
Als Ruth endlich wieder zu ihm zurückkam, empfand er nichts als Erleichterung. Klar, er hatte seine Erfahrungen in den Single-Bars von La Jolla und Westside L. A. gemacht, und Jane Shine hätte nicht verführerischer wirken können, wenn sie in Wolken von Pheromonen gehüllt gewesen wäre, aber was er wirklich wollte, das war Ruth. Ruth war greifbar und real auf eine Weise, die Jane Shine mit ihrer aufgebauschten, jenseitigen Schönheit nie erreichen konnte. Ruth war attraktiv auf ihre ganz eigene Art, irgendwie einmalig, und er konnte nicht genug von ihr bekommen. Aber es war weit mehr als nur Attraktivität. Sie war pure Lebensenergie, eine Flutwelle, sie riss alles mit sich, dabei hatte sie zugleich etwas Verletzliches, Unsicheres an sich, und deswegen fühlte er sich stark, wenn er für sie da war. Und ihre zwanghafte Beschäftigung mit der Schriftstellerei – das ganze Inventar ihrer Bücher und Autoren und Rezensionen, ihre Listen, wer gerade in und wer out war –, sie war das perfekte Gegengewicht zu seinen Fischen. Es war eine Obsession, damit konnte er etwas anfangen, ein Daseinszweck. Es war egal, ob eine Obsession sich aufs Briefmarkensammeln, auf Paläontologie oder Renaissancemalerei richtete – es war sogar egal, ob man gut darin war oder nicht –, jedenfalls verlieh sie Ruth ein Feuer und eine Kraft, die andere Frauen im Vergleich zu ihr glanzlos wirken ließ. Er hatte seine Fische, und das fand sie in Ordnung; sie hatte ihre Schriftstellerei.
Sie kam eines Tages zur Cocktailstunde herüber und legte ihm eine Hand auf den Arm (glücklicherweise wollten es die Schicksalsgöttinnen, dass er gerade mit Sandy an der Bar lehnte und Jane nirgends zu sehen war). »Hallo«, sagte Ruth, und damit hatte sich’s, die sechs Tage des Schweigens waren vergessen, Jane Shine wurde zum Tabuthema, die Party zur fernen Erinnerung. Und ohne ein weiteres Wort nahm sie seine Hand und führte ihn hinauf in ihr Zimmer.
Am Morgen, bevor sie zum Frühstück ins Gesellige Zimmer entschwand, weckte sie ihn mit sanftem Streicheln und feuchten Küssen, um ihn zu bitten, sie am Nachmittag nach Savannah zu fahren – sie müsse Lebensmittel einkaufen. »In Savannah?«, fragte er. »Wieso nicht in Darien?«
»Ach«, sie sagte es beiläufig, sah dabei aus dem Fenster, »weißt du, ich will ein paar Sachen besorgen, die man in dem popligen Supermarkt dort nicht bekommt.« Sie drehte sich zu ihm und grinste, und er spürte wieder die Erleichterung, ein starkes, pulsierendes Gefühl, das ihm über den Rücken rieselte wie eine heiße Dusche. »Seien wir doch ehrlich, Sax, Darien/Georgia ist nicht gerade ein Feinschmeckerparadies.«
»Von mir aus gern«, sagte er achselzuckend, und um vier fuhr er sie zu einem Laden auf der De Lesseps Avenue, wo er in einer Kneipe am Wasser ein Bier trank, während sie einen Einkaufswagen herumschob. Als er eine Stunde später wieder vorfuhr, um sie abzuholen, erwartete sie ihn am Straßenrand, umgeben von braunen Papiertüten. Er war erstaunt über die Menge – acht Tüten voller Konserven –, und noch mehr darüber, dass sie sein Angebot ausschlug, ihr dabei zu helfen, die Sachen zum Studio zu tragen. »Wie bitte?«, fragte er, warf einen Blick über die Schulter auf den Berg von Lebensmitteln und legte dabei den Gang ein. »Du willst das ganze Zeug allein zu deiner Hütte schleppen? Die ganzen Dosen?«
Ruth betrachtete ihre Nägel. »Nicht alles auf einmal«, sagte sie, »mach dir deshalb keine Gedanken.«
»Aber das ist gar kein Problem, ich meine, ich tu es doch gern für dich –«
»Mach dir deshalb keine Gedanken«, wiederholte sie.
Aber Saxby machte sich sehr wohl Gedanken, auf dem Weg zur Fähre, bei der Überfahrt über den Peagler Sound und auf der Asphaltstraße zum Haus. Wie wollte sie acht Papiertüten voller Konservendosen zu ihrem Studio verfrachten – und wozu in Gottes Namen brauchte sie die überhaupt? Sie bekam doch Frühstück und Abendessen im Großen Haus, und mittags brachte Owen ihr einen Gourmet-Lunch – es war das beste Essen von allen Künstlerkolonien, jedenfalls behauptete das seine Mutter. Es war total verrückt. Rechnete sie mit einer Belagerung oder so?
Und dann, als sie gerade mit der Beute in
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