Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
»Leif Erickson, der Tyrann und Verräter, der Mörder seiner eigenen Freunde, wirft sein Leben weg, um uns zu retten? Nur ein Narr würde dir glauben, Leif Erickson, und ich bin kein Narr.«
    »Du weißt nichts«, antwortete Erickson heftig. »Du glaubst, ich hätte über Aztlan geherrscht?« Er lachte bitter. »Du glaubst, ich hätte die Alten benutzt, um euch und die Olmeken zu unterdrücken? Du bist ein Narr, Lasse Rotbart. Ich habe die Gewalten Aztlans beschwichtigt, all die Jahre über. Ich habe ihnen gedient, und ich habe versucht, das Schlimmste zu verhindern.«
    »Indem du Menschen geopfert hast?« fragte ich fassungslos.
    Erickson machte ein abfälliges Geräusch. »Was weißt du?«
    sagte er. »Du bist ein noch größerer Narr als Lasse, aber du solltest es besser wissen, wenn du behauptest, die Alten zu kennen. Ich habe Hunderte geopfert, um Unzählige zu retten.
    Die Herren Aztlans schlafen, aber sie erwachen, jeden Tag ein bißchen mehr, und ihre Gier ist unbeschreiblich.«
    »Lügner«, sagte Lasse kalt. »Was erwartest du? Mitleid?«
    »Nein, Mitleid erwarte ich nicht«, antwortete Erickson. »Du wirst es sein, der Mitleid nötig hat, Lasse Rotbart, du und Setchatuatuan und alle anderen, wenn ihr wirklich so närrisch seid, Aztlan anzugreifen. Ihr werdet die Alten nicht vernichten, sondern wecken!«
    Lasse lachte, aber es klang unsicher; es gelang ihm nicht ganz, seinen Schrecken zu verbergen.
    »Er sagt die Wahrheit, Lasse«, sagte ich leise.
    Lasse fuhr herum. Seine Augen blitzten, als sich seine Unsicherheit in jäher Wut entlud. »Woher willst du das wissen?«
    fauchte er.
    »Weil man mich nicht belügen kann, Lasse«, antwortete ich.

    »Ich spüre es. Ich weiß immer, ob man mir die Wahrheit sagt oder nicht.«
    Lasse preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, und die Wut in seinen Augen wuchs; aber zu meiner Verwunderung widersprach er nicht mehr, sondern stand mit einer zornigen Bewegung auf und ging davon.
    Leif Erickson sah ihm fast traurig nach. »Er weiß, daß ich die Wahrheit gesagt habe«, sagte er. »Er wußte es schon, bevor du es bestätigt hast.« Er seufzte, schüttelte ein paarmal den Kopf und schloß schließlich die Augen. Plötzlich sah er sehr müde aus, auf eine Art müde, die viel tiefer ging als die Erschöpfung nach einem Kampf.
    »Ich bin froh, daß alles vorbei ist«, sagte er leise. »Bei Odin, wie oft habe ich mir gewünscht, niemals hierher gekommen zu sein. Wie oft habe ich die Götter angefleht, mein Leben zu nehmen, wenn damit alles ungeschehen gemacht werden kann.«
    Er ließ sich wieder auf sein Lager zurücksinken und öffnete dabei die Augen. »Ist es wahr, daß Odin dich geschickt hat?«
    fragte er.
    Ich kam mir selbst ein wenig lächerlich dabei vor, aber ich nickte. Es spielte auch keine Rolle, ob es die Wahrheit oder eine barmherzige Lüge war; nicht in diesem Moment. Ich empfand nicht mehr die mindeste Spur von Feindseligkeit Erickson gegenüber. Ich wußte, daß er im Grunde nichts dafür konnte, er war nicht der erste, der den Verlockungen der Großen Alten erlegen war und zu spät begriff, daß er mehr als seine Seele verkauft hatte. Und ich wußte, daß er die Wahrheit sprach.
    »Ich hätte es längst tun können«, fuhr Erickson nach einer Weile fort, als ich nicht antwortete. »Ich kann sie vernichten.
    Ich weiß es. Ich bin der einzige, der nahe genug an sie heran-kommt, um es zu tun. Aber ich hatte nicht den Mut.« Er lachte bitter. »Ich habe mir eingeredet, daß ich am Leben bleiben muß, um sie zu bändigen, und das stimmt. Aber es ist zugleich auch eine Lüge. Ich hatte Angst zu sterben.«
    »Und jetzt nicht mehr?«
    Erickson schüttelte den Kopf. »Es ist so oder so vorbei«, antwortete er, und wieder spürte ich, daß er diese Worte genau so meinte, wie er sie aussprach. »Und ich habe so viel Schaden in meinem Leben angerichtet, daß wenigstens mein Tod zu etwas nütze sein soll. Setchatuatuan und all diese anderen Narren werden sterben, wenn sie Aztlan angreifen, solange er lebt.«
    Ich wollte ihn fragen, wen er mit er meinte, aber Erickson sprach bereits weiter: »Ich bin sehr froh, daß Quetzalcoatl vernichtet ist. Und ich bin froh, daß du es warst, der es getan hat, denn es ist Odins Wille, den du ausführst. Vielleicht …
    gibt er mir so doch noch Gelegenheit, mir meinen Platz in Walhalla zu sichern.«
    Ich schwieg. Ich hätte ihm sagen können, daß es in Wahrheit nicht Odin war, der mich hierher geschickt hatte, sondern

Weitere Kostenlose Bücher