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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wieder zu den anderen Indianern zurück.
    Ich starrte ihm wutentbrannt nach, während Lasse Rotbart leise lachte.
    »Was ist daran so komisch?« fragte ich gereizt.
    »Er ist ein kluger Mann«, sagte Lasse. »Klüger, als ich dachte, dir ist doch klar, warum er nicht will, daß wir mitkom-men?«
    »Natürlich«, sagte ich finster. »Er vergeht aus Sorge um mich.«
    »Und darüber, daß du ihn doch noch aufhalten könntest, im letzten Moment«, fügte Lasse hinzu.
    »Und was denkst du, sollen wir jetzt tun?« fragte ich. »Die Hände in den Schoß legen und abwarten, bis sie alle tot sind?«
    Lasse antwortete nicht, sondern drehte sich wortlos herum und blickte zu Setchatuatuan und seinen Olmeken hinüber, die sich wieder im Kreis zusammengehockt hatten und lautstark palaverten.
    Die Höhle war voll verzerrter Schatten, die im flackernden Schein der Fackeln tanzten, aber da war noch etwas. Irgendwie schienen sich die Schatten zu verschieben, als wäre ein ganz sachter Ruck durch die Wirklichkeit gelaufen, hin in die Richtung, in der Terror und Wahnsinn lauerten. Für einen Moment war mir, als formten sich die Schatten hinter den Olmeken neu, als gerönne die Finsternis jenseits des flackernden Kreises aus trübroter Helligkeit zu klumpigen Dingen, schwarzen, gestaltlosen Wesen, ohne Gesichter und mit zahllosen, zuckenden Tentakelarmen, oktopoiden Scheußlichkeiten, die aus den Abgründen der Zeit heraufgekrochen waren.
    Dann, so plötzlich, wie sie gekommen war, verschwand die Illusion. Aber als ich mich wieder zu Lasse herumdrehte und in sein Gesicht blickte, sah ich, daß seine Augen weit vor Schrek-ken waren, und sein Gesicht hatte auch das letzte bißchen Farbe verloren.
    Er hatte es auch gesehen. Es war keine Illusion gewesen.
    »Bei Odin«, stammelte er. »Was … war … das?«
    »Die Wesen, vor denen ich euch zu warnen versuchte, du Narr«, sagte Leif Erickson. Er lag noch immer reglos da, die Augen geschlossen und mit einem Gesicht, das so bleich war wie das eines Toten. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, das ich mehr erriet als wirklich verstand. Trotzdem fuhr Lasse wie von der Tarantel gestochen herum und starrte Erickson haßerfüllt an.
    »Was redest du da?« fauchte er.
    Erickson öffnete mühsam die Augen. In seinem Blick lag gleichzeitig Verachtung wie Furcht. »Sie sind hier«, flüsterte er. »Hier, um uns herum. Spürst du sie denn nicht selbst, du Narr? Sie sind hier! Sie erwachen. Jetzt!«
    »Jetzt?« Lasse versuchte zu lachen, aber es mißlang kläglich.
    Der Laut, der über seine Lippen kam, klang eher wie ein kaum noch unterdrückter Schrei.
    »Ausgerechnet jetzt? Nach all den Jahren? Was für ein Zufall!«
    Erickson war zu matt, als daß sein Kopfschütteln mehr als eine Andeutung wurde. Aber seine Stimme bebte vor Erregung, als er antwortete: »Kein Zufall. Ich habe sie gebändigt, all die Jahre über, begreifst du das denn nicht? Sie leben vom Tod.
    Euer Haß und eure Furcht sind ihre Nahrung! Und ihr habt ihnen an einem Tag mehr davon gegeben, als ich ihnen in zehn Jahren gestattete. Ihr habt sie fast geweckt, und wenn dieser hitzköpfige Narr da wirklich gegen Aztlan zieht, dann können nicht einmal mehr die Götter selbst sie aufhalten!«
    Lasse antwortete nicht, aber in seinem Gesicht arbeitete es.
    Sein Blick irrte immer wieder zwischen Ericksons Gesicht und den Schatten hinter den versammelten Olmeken hin und her.
    Schließlich wandte er sich an mich. Sein Blick flackerte. Von seiner ehemaligen Stärke und Entschlossenheit war nichts geblieben. Ich hatte selten zuvor einen Menschen gesehen, der so tief erschüttert war. Und der solche Angst hatte. »Traust du ihm, Robert aus Britannien?« fragte er.
    Ich nickte. »Ja.«
    »So sehr, daß du dein Leben riskiertest?«
    Diesmal dauerte es etwas länger, bis ich reagierte. Aber meine Antwort war dieselbe.
    Lasse drehte sich wieder zu Erickson um. »Wieviel Zeit bleibt uns noch?« fragte er. »Wie lange kannst du uns noch vor ihnen schützen?«
    »Ich weiß es nicht«, murmelte Erickson. »Nicht mehr sehr lange, fürchte ich. Vielleicht nur wenige Stunden. Vielleicht ist es auch schon zu spät.«
    »Und vielleicht kostet es unser aller Leben«, murmelte Lasse.
    »Aber wir werden es tun.«
    »Wir werden was tun?« fragte ich.
    »Nach Aztlan gehen«, antwortete Lasse. »Wir warten, bis Setchatuatuan und seine Krieger fort sind. Dann brechen wir auf, zusammen mit Erickson. Ich kenne einen Weg, auf dem wir Aztlan vor ihnen

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