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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Hellmark, der Mann, den er hintergangen und ermordet hatte, und daß ich nicht hier war, um ihm eine letzte Chance zu verschaffen, sondern einzig, um die Rache der Toten zu vollziehen.
    Aber ich brachte es nicht fertig. Ich blieb einfach wortlos sitzen und wartete, bis mir nach einer Weile Ericksons ruhiger gewordene Atemzüge verrieten, daß er eingeschlafen war.

    In der Höhle herrschte die gleiche zeitlose Nacht wie seit Millionen Jahren, aber mein eigenes Zeitgefühl sagte mir, daß es auf Mitternacht zugehen mußte. Leif Erickson war noch zwei- oder dreimal erwacht, aber seine Augen waren trüb geblieben, und sein Blick hatte wieder diesen erschreckend haltlosen Ausdruck, der mir sagte, daß sich sein Geist weit, weit weg befand, in irgendeiner Dimension des Schreckens, deren bloße Ahnung mich schaudern ließ.
    »Was geschieht mit ihm?« fragte Lasse Rotbart, der wieder neben mir Platz genommen hatte.
    Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Ich wußte es nicht. Leif Erickson sah schlecht aus; wie ein Mann, der tödlich verwundet ist. Sein Gesicht war grau, und kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Sein Puls ging so schnell, daß ich die Adern an seinem Hals zucken sehen konnte. Aber es waren nicht die Wunden seines Körpers, die ihn verzehrten.
    Es war nicht das erstemal, daß ich einem Menschen begegnete, der sich mit den Großen Alten eingelassen hatte; wohl aber das erstemal, daß ich jemanden traf, der dieses Bündnis wieder löste. Vielleicht bezahlte er jetzt für die Macht, die er sich geliehen hatte. Mit dem höchsten Preis, den ein Mensch zu zahlen imstande ist.
    »Er stirbt«, sagte Lasse ruhig. »Aber woran?«
    Ich zuckte abermals nur mit den Achseln und sah auf, als ich Schritte hörte. Setchatuatuan kam. Er war nicht allein, und er hatte sich verändert; so sehr, daß ich ihn im ersten Moment kaum erkannte. Statt des einfachen Lendenschurzes trug er jetzt einen prächtigen, mit schreiend bunten Papageienfedern geschmückten Umhang, der seinen Körper von den Schultern bis zu den Knöcheln verbarg und ihm etwas sonderbar Ehr-furchtgebietendes gab. Sein Gesicht war, ähnlich wie bei unserer ersten Begegnung nach dem Überfall auf dem Tempel, dick mit Farbe beschmiert, doch wirkte diese Kriegsbemalung heute viel düsterer, unheilvoller auf mich. Die beiden Männer, die ihn begleiteten, waren auf ähnliche Weise gekleidet wie er, aber alles an der Art, wie sie sich bewegten und gaben, machte klar, daß Setchatuatuan der wahre Herr des Trios war.
    »Es ist entschieden«, sagte Setchatuatuan, zu Lasse gewandt.
    »Ihr wollt Aztlan wirklich angreifen?« fragte ich.

    Setchatuatuan ignorierte mich schlichtweg. »Die Krieger stehen bereit«, fuhr er fort. »Jetzt, wo Quetzalcoatl tot und Leif Erickson gefangen ist, wird uns niemand mehr aufhalten.
    Morgen, wenn die Sonne untergeht, wird unser Volk wieder frei sein.«
    »Euer Volk wird tot sein«, sagte ich. Setchatuatuan zog die linke Augenbraue hoch und bequemte sich endlich, mich wenigstens anzusehen. Sein Blick war nicht besonders freundlich.
    »Wenn es der Wille der Götter ist, so wird er geschehen«, sagte er stur. »Wir werden Aztlan vernichten.«
    »Das werde ich nicht zulassen«, sagte ich.
    Setchatuatuan nickte. »Ich weiß«, sagte er ungerührt. »Und aus diesem Grunde werdet ihr auch hierbleiben.«
    »Wie?« machte ich überrascht.
    »Du und der Zauberer«, fuhr Setchatuatuan, wieder an Lasse gewandt, fort, wobei er mit einer knappen Handbewegung auf mich deutete, »werdet hierbleiben. Um Leif Erickson zu bewachen. Und um euch«, fügte er mit einem spöttischen Lächeln hinzu, »keiner Gefahr auszusetzen.«
    Ich starrte ihn wütend an. »Ich denke, ihr haltet mich für einen Gott oder so etwas.«
    »Für einen Boten der Götter«, verbesserte mich Setchatuatuan. »Aber du bist ein Mensch aus Fleisch und Blut, so wie dieses Tier ein Tier aus Fleisch und Blut ist.« Er deutete auf den Jaguar, der sich neben mir zusammengerollt hatte und wie eine zu groß geratene Katze im Schlaf schnurrte.
    »Es wäre ein schlechtes Omen, würdet ihr im Kampf verwundet oder gar getötet«, sagte er. »Deshalb wirst du mit Lasse Rotbarts Männern hierbleiben und Erickson bewachen.«
    »Aber ich,«
    »Es ist entschieden«, unterbrach mich Setchatuatuan in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Wir werden die Götter anrufen und die heiligen Tänze tanzen, und sobald der Morgen kommt, greifen wir Aztlan an.« Und damit wandte er sich abrupt um und ging

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