Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
mich nicht?«
»Ich kann nirgendwohin gehen.«
»Du wirst etwas bekommen, wohin du gehen kannst.«
»Erzähl«, sagt sie lächelnd.
»Der Aufenthaltsraum wird jetzt geschlossen«, sagt er und geht.
Ihr ist eigentümlich schwindlig, als wüsste er schon alles über sie, noch bevor sie es erzählt hat.
Natürlich waren das keine Medikamente gegen den Krebs. Das hat sie nur geglaubt, ohne sich Gedanken darüber zu machen. So läuft keine Chemotherapie ab. Im Grunde weiß sie natürlich, dass eine solche Therapie in strikte Intervalle unterteilt ist. Wahrscheinlich war die Krebserkrankung ihrer Mutter dafür schon zu weit fortgeschritten. Man konnte nur noch die Schmerzen lindern.
Als sie in ihrem Zimmer ist, hat sie das Gefühl, während ihrer ganzen Begegnung mit Jurek Walter die Luft angehalten zu haben.
Sie legt sich völlig erschöpft auf ihre Pritsche und denkt, dass sie sich von nun an passiv verhalten und dafür sorgen wird, dass Jurek seine Pläne der Polizei enthüllt.
122
Es ist erst fünf vor acht, als sich die Gruppe Athena Promachos versammelt. Nathan Pollock hat die Kaffeetassen gespült und sie verkehrt herum auf ein blauweißkariertes Küchenhandtuch gestellt.
Nachdem am Vortag die Türen zum Aufenthaltsraum geschlossen worden waren, hatten sie bis sieben Uhr abends zusammengesessen und das umfangreiche Material analysiert. Sie hatten dem Gespräch zwischen Jurek Walter und Saga Bauer gelauscht und die Informationen strukturiert und beurteilt.
»Ich mache mir Sorgen, weil Saga zu viel Persönliches von sich preisgibt«, bemerkt Corinne und nickt dankbar, als Nathan ihr eine Tasse Kaffee reicht. »Es ist natürlich eine Gratwanderung, denn ohne etwas von sich preiszugeben, kann sie sein Vertrauen nicht gewinnen …«
»Sie hat die Situation unter Kontrolle«, meint Nathan Pollock und schlägt sein schwarzes Notizbuch auf.
»Wollen wir es hoffen«, sagt Joona.
»Saga ist fantastisch«, wirft Johan Jönson ein. »Sie bringt ihn wirklich zum Reden.«
»Trotzdem wissen wir nach wie vor nichts über Jurek Walter«, meint Nathan Pollock und klopft mit einem Stift auf den Tisch. »Abgesehen davon, dass er wahrscheinlich ganz anders heißt …«
»Und dass er ausbrechen will«, sagt Corinne und hebt die Augenbrauen.
»Ja«, bestätigt Joona.
»Aber was stellt er sich eigentlich vor? Was hat er mit den Schlaftabletten vor? Wen will er damit betäuben?«, fragt Corinne mit einer steilen Falte in der Stirn.
»Das Personal kann er nicht betäuben … die Pfleger dürfen nichts von ihm annehmen«, sagt Pollock.
»Wir lassen Saga weitermachen wie bisher«, entscheidet Corinne nach einer Weile.
»Die Sache gefällt mir nicht«, wendet Joona ein.
Er steht auf, geht zum Fenster und sieht, dass es wieder schneit.
»Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages«, erklärt Johan Jönson und holt einen Schokoriegel heraus.
»Bevor wir weitermachen«, sagt Joona und dreht sich wieder zu den anderen um, »würde ich mir gerne noch einmal die Aufnahme anhören … und zwar den Abschnitt, als Saga ihm sagt, dass sie das Krankenhaus vielleicht gar nicht verlassen will.«
»Das haben wir uns ja auch nur gefühlte hundert Mal angehört«, erwidert Corinne seufzend.
»Ich weiß, aber ich habe das Gefühl, dass ich da irgendetwas verpasse«, sagt er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. »Wir haben nicht darüber gesprochen, aber was passiert in dem Moment eigentlich. Zunächst klingt Jurek wie immer, als er sagt, dass es bessere Orte auf der Welt gibt als den Sicherheitstrakt … als Saga dann jedoch erwidert, dass es auch schlimmere gibt, gelingt es ihr, ihn aus der Fassung zu bringen.«
»Vielleicht«, sagt Corinne und schaut weg.
»Nicht nur vielleicht«, widerspricht Joona ihr. »Ich habe viele Stunden mit Jurek Walter gesprochen und kann hören, wenn sich seine Stimme verändert, nach innen gekehrt ist, wenn auch nur für den Moment, als er diesen Ort mit rotem, lehmigem Wasser beschreibt …«
»Und Hochspannungsleitungen und Radladern«, wirft Pollock ein.
»Ich weiß, dass da irgendetwas ist«, sagt Joona. »Nicht nur die Tatsache, dass Jurek sich tatsächlich selbst überrascht, als er anfängt, echte Bruchstücke aus seiner Erinnerung zu erzählen …«
»Aber das bringt uns doch nicht weiter«, fällt Corinne ihm ins Wort.
»Ich will die Aufnahme noch einmal hören«, sagt Joona und wendet sich Johan Jönson zu.
123
Johan Jönson lehnt sich vor und bewegt den
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