Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
gekümmert …«
»Ja.«
»Konnte sie überhaupt alleine essen?«
»Die meiste Zeit schon … aber gegen Ende hatte sie keinen Appetit mehr«, antwortet Saga wahrheitsgemäß.
»Wurde sie operiert?«
»Ich glaube, sie hat nur eine Chemotherapie gemacht.«
»In Tablettenform?«
»Ja, ich habe ihr jeden Tag geholfen …«
Bernie Larsson sitzt auf der Couch und wirft laufend verstohlene Blicke auf sie. Ab und zu tastet er vorsichtig den breiten Verband auf seiner Nase ab.
»Wie sahen diese Tabletten aus?«, erkundigt sich Jurek und erhöht die Geschwindigkeit ein wenig.
»Wie ganz normale Tabletten«, antwortet sie schnell.
Plötzlich ist ihr nicht ganz wohl bei der Sache. Warum fragt er sie nach dem Medikament? Die Frage bleibt ihr unverständlich. Testet er sie vielleicht? Ihr Puls schlägt schneller, während sie innerlich wiederholt, dass sie sich keine Sorgen machen muss, solange sie die Wahrheit sagt.
»Kannst du sie beschreiben?«, fährt er ruhig fort.
Saga öffnet den Mund, um zu antworten, dass dies alles viel zu lange her sei, als sie sich auf einmal an die weißen Tabletten zwischen den langen braunen Fasern des Webteppichs erinnert. Sie hatte die Dose umgekippt und krabbelte neben dem Bett herum, um die Pillen wieder aufzuheben.
Die Erinnerung ist glasklar.
Sie sammelte die Tabletten in ihrer Hand und blies die Teppichfussel fort. In ihrer Hand hielt sie etwa zehn runde Tabletten. Auf der einen Seite waren in einem Quadrat zwei Buchstaben eingeprägt.
»Sie waren rund und weiß«, sagt sie. »Mit zwei Buchstaben auf der einen Seite … CO … nicht zu fassen, dass ich mich daran erinnern kann.«
121
Jurek Walter schaltet das Laufband aus und atmet lange lächelnd ein und aus.
»Du sagst, dass du deiner Mutter Zytostatika gegeben hast, Mittel, die das Zellwachstum hemmen … aber das hast du überhaupt nicht getan …«
»Doch«, widerspricht sie lächelnd.
»Das Medikament, das du gerade beschrieben hast, ist Codein«, erklärt er.
»Ein Schmerzmittel?«, fragt sie.
»Ja, aber man verschreibt Krebskranken kein Codein, sondern nur potente Opiate wie Morphium.«
»Aber ich kann mich an die Tabletten ganz genau erinnern … auf der einen Seite haben sie eine Ritze …
»Ja«, sagt er nur.
»Mama meinte, dass …«
Sie verstummt, und ihr Herz pocht so hart, dass sie fürchtet, man könnte es ihrem Gesicht ansehen. Joona hat mich gewarnt, denkt sie. Er hat gesagt, dass ich nicht über meine Eltern sprechen darf.
Sie schluckt und schaut auf den abgetretenen Kunststoffboden hinab.
Das ist nicht weiter schlimm, denkt sie und geht auf ihr Zimmer zu.
Es hat sich einfach so ergeben, sie hat ein bisschen zu viel geredet, sich dabei aber immer an die Wahrheit gehalten.
Sie hatte keine Wahl. Die Fragen nicht zu beantworten wäre zu ausweichend gewesen. Es war ein notwendiger Tauschhandel, aber von nun an wird sie nichts mehr sagen.
»Warte«, sagt Jurek ganz sanft.
Sie bleibt stehen, dreht sich aber nicht um.
»In all den Jahren hat sich mir nicht eine einzige Chance geboten, hier auszubrechen«, fährt er fort. »Mir ist immer klar gewesen, dass man den Beschluss der Sicherheitsverwahrung in der Psychiatrie niemals in Frage stellen wird, mir ist klar gewesen, dass man mir nie im Leben einen Hafturlaub bewilligen wird … aber jetzt, weil du hier bist, kann ich dieses Krankenhaus endlich verlassen.«
Saga dreht sich um und sieht in das hagere Gesicht und die hellen Augen.
»Was soll ich denn schon tun können?«, fragt sie.
»Es dauert ein paar Tage, alles vorzubereiten«, antwortet er. »Aber wenn du dafür sorgst, dass du Schlafmittel bekommst … Ich brauche fünf Tabletten Stesolid.«
»Und wie soll ich an die herankommen?«
»Du hältst dich wach und behauptest, nicht schlafen zu können, bittest um zehn Milligramm Stesolid, versteckst die Tablette und legst dich hin.«
»Und warum tust du das nicht selbst?«
Jurek Walter lächelt mit seinen geschundenen Lippen:
»Mir würden sie niemals etwas geben, sie haben Angst vor mir. Aber du bist eine Sirene … alle sehen deine Schönheit, keiner sieht, wie gefährlich du bist.«
Saga denkt, dass dies das notwendige Detail sein könnte, um Jurek näherzukommen. Sie wird tun, was er ihr sagt, sie kann an seinem Plan mitarbeiten, solange er nicht gefährlich wird.
»Du hast die Strafe dafür auf dich genommen, was ich getan habe, also werde ich versuchen, dir zu helfen«, erwidert sie leise.
»Aber begleiten willst du
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