Der Sandner und die Ringgeister
der van Leyden den Weiß abräumt, wegen dem Ärger und weil der ihn absägen wollte. Und der Sobotnik ist der Profiteur. Wie viel muss es sein, damit du jemanden derschlägst wie einen Kakerlak?
Der Sandner hat sich schon mit billigeren Motiven rumplagen müssen.
Da war zum Beispiel die Geschichte mit dem Streit um die Telefonrechnung in Moosach gewesen. Morgens beim Frühstück war der eskaliert. Die Frau hat dem ein Ende bereitet, indem sie den Wanst ihres mauligen Gatten mit dem Brotmesser perforiert hat. Am Küchentisch ist die arme Sau verblutet, den Schädel auf dem weißblauen Brotzeitbrettl, und sein reuiges Weib hat vergeblich versucht, eine Nachbarin aufzutreiben, wegen der Eins-eins-null. Ihr Franz hatte zuvor blindwütig das Telefonkabel aus der Wand gerissen.
Am Tatort hat es ausgesehen wie im Schlachthof unter Volllast, und natürlich war das Rechnungsgezeter nur das letzte Mosaiksteinchen gewesen, wie alle Welt so dahersagt.
Den Sandner hat damals die Frage umgetrieben, ob die Leut nicht generell nur ein, zwei Steinchen entfernt sind vom blutigen Muster, aber mehr als ein Achselzucken als Antwort willst du nicht ernten, sonst könntest du justament nach Haar, in die Psychiatrische, und gleich den Zimmerschlüssel fressen.
Diesmal prügelt er den Wagen bis vor das Hotel. Zweite Reihe.
Der Hartinger hat ihm gerade verkündet, dass sie den Sobotnik aus dem Bett geholt haben. Der wäre auf dem Weg ins Präsidium, mit Begleitschutz.
Es gibt Zeiten, da ist es von existenziellem Vorteil, wenn sich der Mensch nicht in Gedanken verheddert, wie im klebrigen Spinnennetz, sondern sich im Jetzt und Hier aufhält. Eher aus pragmatischen denn religiösen Überlegungen. Sonst verpasst du deine S-Bahn, dein Reis verkocht, das Ei wird steinern, oder dein Johannes will nicht mittun im entscheidenden Moment einer angebahnten Kopulation.
Wie der Sandner die Treppe zum Zimmer des van Leyden hochstürmt, ist die Umgebung für ihn ausgeblendet, S-Bahn, Reis, Ei oder Koitus wären chancenlos.
Gerade geht ihm zum hundertsten Mal die Frage durch den Kopf, was er der Corina wohl heut Nacht für einen Schmäh erzählt hat. Er ist fast vor dem Zimmer des Holländers, da öffnet sich die Tür, und eine Gestalt erscheint. Ein junger Bursch mit schwarzem Rollkragenpulli und rasiertem Schädel.
Verblüfft glotzen sich die beiden an, verharren in der Bewegung. Nur ein Wimpernschlag, dann drängt sich der Mann am Sandner vorbei zur Treppe.
Der Bruchteil einer Sekunde bleibt für die richtige Reaktion. Seine abschweifenden Gedanken haben ihn bis zum Schopf in die Gülle getaucht. Von allzeit bereit keine Spur.
Endlich fällt der Sandner eine Entscheidung, dreht sich um. Umständlich holt er seinen Dienstausweis aus der Hosentasche.
»Moment amal!«, ruft er dem Glatzkopf nach.
Hinter sich nimmt er etwas wahr, ein Geräusch, einen Schatten. Nackenhaare und Wirbelsäule alarmieren ihn. Es reicht ihm nicht mehr zum Umdrehen. Die Schultern bekommt er noch hochgezogen. Hundsverreck, zwei!, blitzt es panisch in ihm auf. Etwas Hartes knallt an den Kopf. Schmerzgetränkte Schwärze. Die Beine geben nach. Er sackt zusammen. Liegt gefällt auf dem Boden.
Bei einem weicheren Schädel hätte das gereicht, die Reise ins Nirwana anzutreten, der Sandner aber rollt auf den Rücken. Anschauen will er den Dreckhammel. Nicht noch den finalen Schlag kassieren! Benommen starrt er in die Höhe, die Glieder lahm, bleischwer. Zeitlupe. Aus der Reichweite muss er, reagieren. Tu etwas! Nicht das Karnickel geben. Alles verschwimmt ihm. Wieder ein Sekundenbruchteil, ein Atemzug. Springerstiefel, schwarzer Rolli, rote Adern auf den Wangen, ein bunter Rucksack in der Hand, Adidas. Schweigen. Er kommt nicht hoch.
»Poli...«, will er brüllen, als ob es was helfen könnte, wenn nichts mehr hilft.
Mitten hinein in den Ruf stampft ein Fuß ihm wuchtig zwischen die Beine.
Bullseye! Ein dumpfer Ton dröhnt in seinen Ohren, sein eigenes Stöhnen, aus den Tiefen der Eingeweide hervorgezerrt. Neun, zehn, und aus! Professionell. Die Suppe ist gelöffelt, samt Nachschlag. Ein zertretener Kakerlak windet sich auf dem Teppich, ein schmieriger, blutiger Sandnerfleck. Zusammengekrümmt, keuchend, die Augen wollen ihm aus den Höhlen springen.
Behandschuhte Finger lesen seinen Dienstausweis auf, dann ist er allein.
Es gibt eine Art Schmerz, die lässt sich selbst mit ausgefeilter Wortakrobatik nicht befriedigend beschreiben. Mitleid mit dem Sandner wäre
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