Der Sandner und die Ringgeister
Klassiker.
Die Seniorin hatte angegeben, nächtens vier vermummte Gestalten mit langen Mänteln gesehen zu haben, die zum Friedhof geeilt wären. Der liegt von ihrer Behausung zirka einen Kilometer entfernt. Fragwürdig sei die Geschichte allerdings geworden, als sie steif und fest behauptet hatte, dass sie just um halb zwei mit ihrem Zamperl dort Gassi gegangen wäre. Dessen optische Erscheinung hätte allerdings eine andere Sprache gesprochen. Nach dem Eindruck der Polizistin hätte sie das verfettete Viech höchstens hinter sich herschleifen können, wie einen Kohlesack. Während ihrer Anwesenheit hätte der Hund mindestens zwei Stück Schwarzwälder Kirsch verdrückt. Seine Bewegungsimpulse beschränkten sich auf das Mahlen der Kiefer. Aber es sei ein nettes Gespräch bei Kaffee und Kuchen gewesen, und unmittelbar nach ihr hätte auch ein Reporter der AZ für einen Schluck Kaffee vorbeigeschaut.
»Und?«, will die Wiesner jetzt von ihr wissen, »was gibt’s?« Sie ist gerade dabei, noch einmal die Fundortfotos zu studieren – ein Unterfangen ohne Erkenntnisgewinn.
»Ja, ich weiß nicht, ob es wichtig ist oder Sie des vielleicht schon wissen.«
»Besser etwas zweimal gesagt als gar ned.« Die Wiesner lächelt sie aufmunternd an. »Legens los.«
»Mein Freund, der Mike, der ist bei einem Online-Musik-Magazin, sfm, surf for music – so Beiträge im Internet halt. Und der hat mich gerade angesimst, der weiß ja, dass ich mit dem Mord zu tun hab, ich sag dem auch nichts, was ...«
»Ist scho recht.«
»... ja, und es gäbe eine Presseerklärung der Band. Sie wollen die Tournee nicht absagen. Sie wollen spielen. Ihre Trauer wollen sie musikalisch zum Ausdruck bringen, hat es geheißen, das wären sie dem Dennis Weiß schuldig.«
»Da schau her – mit einem neuen Schlagzeuger? Den hams aber schnell aus dem Hut gezaubert, die hinterbliebenen Sangesbrüder. Weiß man, wer das ist?«
»Jens Sobotnik.«
Der Sandner ist in Wallung.
»Schaffts den Sobotnik her, wurscht, wie! Und wo sand die Colegas von der Truppe? Wohnen die noch im Hotel Sammert?«
Brav gemeldet hätten sich die Bandmitglieder, erfährt er am Handy von der Wiesner, eine Adresse in Augsburg angegeben, unter der sie jederzeit zu erreichen wären. Beim Papa Kleinschmidt, verhinderter Rockstar und Lehrer. Und von Sobotniks angekündigtem Einstieg als Drummer in die laufende Tour wären sie überfahren worden. Unabgesprochen wäre das gewesen, eine Aktion vom Holländer. Aber da gäbe es wohl kein Zurück, auch wegen der Verträge. Der van Leyden sollte, nach Aussage vom Kleinschmidt junior, vielleicht noch im Sammert anzutreffen sein. Der wollte aber heute flugs nach Österreich. Sie würden ein paar Tage proben und am Donnerstag die Tour fortsetzen, sonst gingen ihnen zu viele Konzerte durch die Lappen.
Nichts da, mit Österreich, die nächste Station wäre U-Haft in der Ettstraße.
Der Bursch wird gerade seziert, und die Show geht weiter, als wenn nichts gewesen wär. Business hin oder her, aber für alles muss er kein Verständnis haben. Er ist in Giesing daheim und nicht im Ashram in Puna.
Trotz denkwürdig-hypnotischer zehn Minuten mit der Frau Fuchs geht das mit der Wut bei ihm heute besonders hurtig. Die hockt ihm auf den Schulten, ein Poltergeist, der geschäftig Bestellungen aufnimmt. Da brauchst du keinen aufbrausenden Charakter, wenn dich Umstände beuteln, wie der Fuchs das Huhn im Stall.
Der Sandner will postwendend im Hotel Sammert aufschlagen, den Lehnharter und sein sedierendes Gebräu schiebt er dafür vorübergehend in eine abgelegene Hirnwindung.
Mit offenen Fenstern zuckelt er Richtung Bahnhof. Nicht, weil er kühlen Kopf bewahren will, im Dienstwagen schweißelt es gottserbärmlich, und offenbar musste sich in letzter Zeit auch jemand darin erbrochen haben. Vielleicht hat ein Beifahrer vom Hartinger seinen Fahrstil dickflüssig kommentiert.
Stop and Go. Der Verkehr ist ein Geduldsspiel. Bitterkalt ist es mittlerweile im Auto, trotzdem bricht ihm der Schweiß aus, und sein Herz pocht, wie nach überstandenem Vollrausch.
Der van Leyden hat also sofort einen Nachrücker präsent, der zufällig auch am Abend beim Konzert und hinter der Bühne war. Dass der Sobotnik sofort einsteigen konnte, ist aus musikalischer Sicht für den Sandner ein Mysterium. Als hätte er im Hintergrund gelurt, Zweitbesetzung, wie im Opernhaus. Auf die Geschichte ist er gespannt. Das wäre kein Schuss ins Knie gewesen, finanziell gesehen, wenn
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