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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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Abschied einen Fußtritt zu geben, und ging hinaus. Noch flimmerten die Sterne groß in der schwarzen Bläue. Ein verfrühter Hahn krähte mit unsicherer Stimme.Daûd ging über die Felder, unfern seiner Sakije vorbei, mit deren Bestallung er in Gedanken endgültig seinen Bruder bedachte, und lenkte seinen Schritt dem Nilufer zu, schlafende Wachtelvölker aufstörend. Er schritt auf den Resten der alten Seeumwallung von Birket-Hadu herüber, an der pompös entbreiteten Lebbachakazie vorbei, streifte mit einem milden Blick die schwach beglänzte Landschaft und ging einsam und glücklich über den zersprungenen Nilschlamm durch die kalte Nacht ohne Tau einer freudevollen Zukunft entgegen.
    Am Nil angelangt, entledigte er sich, wiewohl er herzhaft fror, seines Hemdes und tänzelte, mit erleichtertem Gewicht, auf den Zehen etwa bis zu einem Viertel der Strombreite. Dann hielt er das Hemd als Bündel mit der Hand über den Kopf und schwamm wie ein Otter auf die andere Seite hinüber. Er erreichte die Lehmböschung, wo die Segelknechte und Steuerer der Dahabijen und Giasen schliefen; und dann trocknete er sich schaudernd ab. Die Strandstraße lag noch totenstill; zuweilen zog brummend ein großer Mistkäfer seines Weges.
    Daûd, den die Kälte seines Körpers am Schlafen hinderte, hockte sich an eine Mauer, das Gesicht mit offenen Augen auf die Arme gelegt. Ein nubischer Polizist ging, leise vor sich hinsingend, dicht an ihm vorbei. In der Nacht schläft halb Luksor im Freien; in jedem Winkel atmet ein Schläfer. Das große Hotel lag weißleuchtend da und öffnete seinen Treppenaufgang wie eine riesige Schere. Die ausgehängten Teppichevor den Krämerbuden regten sich leise im Nachtwind, und der Große Tempel lag dräuend und schwarz. Das Minarett der Moschee Abu'l-Haggâg stieg schlank und zierlich aus seiner plumpen Masse hervor wie der Schaft einer Zierpflanze.
    Daûd sah den Morgen erwachen; köstlich war er wie jeder im frühen Jahr. Ein leichter Wind fuhr als Vorläufer der Helle mit einem stetigen, kaum veränderlichen Sausen über die Promenade. Der Himmel ward stumpfer, da die Sterne ins Nichts zurücktraten ... Nur über der einzelnen Palme, die rechts von Daûd aus dem Garten ragte, hing als funkelnde Träne noch der Stern, der am spätesten scheidet. Dann ging über den Himmel ein sachtes Erbleichen, ein süßes Entfärben; die Tinten der Nacht klärten sich zu einem blassen Blau, das königlich an Reich gewann; aus noch unsichtbarer Quelle sog es trunken sein stilles Licht, und der Hügelkranz des Horizontes errötete sacht, bis er zuletzt in einem grellen Gelbrot plastisch erglühte. Ein Leuchten begann allerorten; reinste Farben tauchten auf, wie durch Zauberhauch geweckt. Und als die stille Seligkeit des sich gebärenden Tages ein Ende hatte, als die Sonne, noch durch schwache Flußnebel ihrer Wirkung beraubt, über dem Kamm der Wüste loderte, regte sich das Leben langsam und mit Muße. Es tat das Dunkel aus den schlafblinden Augen ... Und dann, plötzlich, war es da, hungrig und bebend wie ein aufgescheuchtes Tier.
    Diese Unruhe der Frühe ergriff auch Daûd. Eine nicht abzuschüttelnde, wachsende Befangenheit nahm jetztvon ihm Besitz, als er mit noch nachttrunkenem Kopf das Leben auf der Strandstraße erwachen sah. Es war nicht häufig, daß er sich freiwillig und ohne bestimmten Zweck nach Luksor begab ... Er hatte immer Genossen gefunden, mit denen er sich gebalgt, und immer einen kleinen Spektakel zum Gaffen ergattert; in den Magazinen kannte er die Angestellten, und an den Eingängen der Hotels saßen seine Freunde, die Bauwabs; er kannte sie gut; sie waren voll höheren Wissens, trugen Prachtgewänder und hatten ihren vertrackten Spaß an ihm. Heute jedoch, da sein Herz ihn fragte: Warum bist du gekommen, Daûd? Willst du stehlen? Hast du ein Schlachtkalb zum Fleischer zu treiben? Wo ist die Ziege mit verknüpften Vorderfüßen, die dir dein Vater zum Verkauf anvertraute? Hast du es auf die dicke Frau abgesehen, die den kurzen gelben Rock und den Hutschleier trägt – eben die, die neulich so beschwerlich auf das Kamel und so plötzlich wieder heruntergelangte? Und willst du sie wieder verspotten und so heftiges Entzücken bezeigen, daß du dich auf dem Boden wälzest und sogar die Treiber zu unbotmäßigem Grinsen reizest, während sie ihr wieder auf die Füße helfen?
    Heute, da sein Herz ihn dies alles fragte, mußte Daûd erwidern: Nein, nicht dieser Dinge halber bin ich heute da. Weshalb aber

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