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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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streng geschieden ist. Könnte er sehen, der Muezzin, so sähe er viel, so würde eine Flamme von sinnlichen Begierden ihn von unten her umzüngeln, ihn stammeln machen und ihm die Andacht zu Gott aus dem Kopfe treiben. Er würde in manchen eifersüchtig behüteten Schrein seinen gierigen Bettlerblick schlüpfen lassen. Er würde in Gedanken die drei Gebetszeiten des Tages besudeln und verstohlene Völlerei treiben; und aus seinem leeren Inneren würde der Anruf nicht mehr kristallen rein emporfahren, sondern würdelos und schluchzend wie Eselsgeschrei.
    Solange der Mensch dort oben sang, hörte Daûd ihm zu. Er hatte sich mitten auf den Platz gesetzt, in fromm meditierender Stellung. Er verstand den Sinn des Gesanges nicht; es war mehr der Klang, der ihn reizte, und der ihm vertraut war wie der Sang der Sakije. Und Daûd erinnerte sich, daß seine Altersgenossen, sogar die dümmsten unter ihnen, schon rechte Moslems waren und bereits etliche Suren beherrschten, wenn sie auch keine Riten kannten und nichts weniger als beteten. In einer dunklen Anwandlung von Schicklichkeitsgefühl zog er das Hemd, das er bis jetzt als formlosen Ballast mit sich geschleppt, manierlich über den Kopf, und dann beschäftigte er sich wieder mit seinem noch recht gestaltlosen Vorsatz ... Seine Genossen waren schon in ihrem sechsten Jahre in die Schule getrieben worden; sie waren ihm füglich überlegen, undhier stand er, war nichts, konnte nichts und fühlte einen Geschmack wie von Galle am Gaumen.
    Doch lange war es ihm nicht vergönnt, also bittere Überlegung zu halten, denn der Platz begann sich zu beleben. Die eisernen Scharniere der sich öffnenden Ladentüren knirschten die ganze Straße El-Mahatta herab, so daß ein fröhliches Getöse entstand. Aus den kleinen Schankstuben kamen braune Burschen in gestreiften Hemden heraus und stürzten die Unrateimer über die Straße; die Sonne bebrütete das stinkende Rinnsal und schluckte es nach wenigen Minuten auf. Ein koptischer Priester ging über die Straße, eine große, hagere Gestalt, umwallt von teurer schwarzer Wolle, mit violettem Gürtel und konisch geformter Hauptbedeckung. Er war hell im Gesicht und trug einen schwarzen, runden Bart. Seine Hände, mit kräftigem Adernetz, rafften den Mantel von den gelben Stiefeln zurück, die er mit fast weibischer Vorsicht über jede Pfütze setzte. Ein Fleischer zerrte von einem Karren einen toten Hammel herab; vor seiner Auslage schaukelten an eisernen Haken blutige Vierteile mit weißleuchtendem Fett. Von jener Gegend kam ein erstes, rastloses Fliegensummen: der Mensch war nicht müßig, und das Ungeziefer tat es ihm gleich.
    Während Daûd sich entschloß, einen einsameren Ort, womöglich an der Mauer, einzunehmen, ward er eines Esels gewahr, der ihn erstarren machte, denn diesen Esel kannte er bereits aus seinen Träumen. Der Esel trappelte mit einem Geräusch, als ob kleine Stahlhämmerauf den noch nachtkühlen Asphalt fielen, quer über den Platz; er war schneeweiß, etwas größer als die anderen, die Daûd bis jetzt gesehen und in jeder Beziehung ein gehätscheltes Prachtstück. Er stammte offenbar aus Nubien, aus der Gegend von Halfa, denn dort ist die Urwiege aller Rasseesel. Er trabte so stramm dahin, daß es eine Freude war; er bockte leicht mit den Hinterbeinen, und der kalte, graue Fremde, der auf ihm saß (– mit dem schwarzen Augenschutz, der ihm das Ansehen einer Eule gab –), dieser klammerte sich an ihn, wie sich ein böser Geist um eine reine Seele klammert, die entfliehen will. Von dem bunten Samtsattel, nach dem Daûd in aller Eile spähte, sah er nichts als einen lockenden Schimmer, da der Fremde so eifrig auf und nieder flog, daß er in jeder Sekunde einen anderen Teil des Sitzes den Blicken entzog. Dagegen hatte Daûd ein Zaumzeug wahrgenommen, das ihn märchenhaft kostbar dünkte. Hinter dem Esel, mit einem Treiberschrei, der mehr einem Jauchzen glich, kam ein gutgenährter, humoristischer Knabe geflogen, älter als Daûd, mit einem gestickten Baumwollkäppchen und flatterndem, funkelnd blauem Hemd; offenbar einer, der bereits in Piastern wühlen durfte. Der Junge tanzte mit einer Gerte hinterdrein – – – ach, das Leben ist eine Lust! Dann war auf einmal das Zauberbild verschwunden, und Daûd, die Augen aufgerissen, fand sich schwer in diese Welt zurück.
    Doch war dies der letzte Anstoß für ihn gewesen, etwas für sich zu unternehmen, und er stand auf undging die Mauer entlang. Nach einer Weile fand er eine

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