Der Sang der Sakije
Tür. Er trat in einen gestampften Hof und hörte ein eintöniges Gemurmel. Er befand sich vor einem rechteckigen, niederen Gebäude aus Nilerde, das von gespaltenen Palmstämmen und darübergelegten Palmblattmatten bedeckt war. Unter den Zipfeln der Matten, die zerfasert auf den Seiten herunterhingen, waren zwei löcherartige Fenster: aus diesen Öffnungen drang das lockende Gemurmel. Und instinktiv erfaßte der zögernde Daûd, daß für ihn zunächst dies der Ort sei, wo er aus der Quelle des Wissens schöpfen werde.
Der Eingang zu dem Gebäude war auf der anderen Seite; so ging denn Daûd mit einem Gemisch von Ehrfurcht und Entschlossenheit um die Ecke und stand plötzlich vor einem dämmrigen Raum, in den zwei blendende Lichtbüschel fielen. Gleich darauf unterschied er einen älteren Mann mit einem kurzen Vollbart, der sich über ein Buch neigte. Er überragte einen Kranz von Knaben, die auf kleinen Palmstengelpulten oder in den Händen verzinkte Platten von Eisenblech hielten, auf denen viel Tinte glänzte. Diese Knaben nun beugten sich rhtythmisch in den Hüften und rezitierten mit krausen Stirnen in melodischer Wortfolge eine Lobpreisung Allahs. Nach jedem Satz fuhr die Stimme des Lehrers dunkel hinterdrein.
Das Geleier ertönte noch etwa eine Minute, auf und ab schwellend, müde wie der Grillengesang in Daûds Feldträumereien. Dann wurde der Eindringling bemerkt, oder es wurde vielmehr bemerkt, daß er sichnoch nicht empfahl, sondern sich mit neckischer Bescheidenheit als Mitglied der Schule zu fühlen schien. Er war in den Schatten geglitten und traf alle Anstalten zu bleiben, von dem einzigen Wunsch beseelt, um jeden Preis aus seinem Aufenthalt Gewinn zu ziehen. – – Seit man seiner gewahr geworden, hatten die Knaben etwas schleppender rezitiert und waren in gedankenloses Näseln verfallen, denn sie machten sich auf eine spaßhafte Unterbrechung gefaßt. Und richtig: jetzt klappte der Schulmeister ab und erhob sich. Seine arabischen Hosen verschwanden unter dem Kaftan; er warf mit der einen Hand das halbgelöste weiße Wolltuch, das um seinen Tarbusch gewickelt war, heftig über die Schulter. Die Knaben drehten sich so eilig herum, daß die Kuhhorntintenfäster, die sie auf den Bäuchen trugen, kleine Spritzer von sich gaben.
»Friede mit dir!« sagte nach einer kurzen Stille der Schulmeister mit recht ärgerlicher Stimme. »Wer bist du, und weshalb sitzest du hier und störst den erhabenen Unterricht?« Er fischte eine Hornbrille aus dem Ärmel und wand ihre Haken heftig um die Ohren herum.
Daûd war bestürzt. Aber die Gewißheit, daß er in der rechten Schmiede war, gab ihm Kraft. Er begriff nicht, wessen man ihn bezichtigte, aber um jedenfalls sicherzugehen, tat er, was sein kleines Herz ihn hieß: er legte, wie er es bei dem blinden Muezzin bemerkt, die Daumen an die Schläfen und sang, wobei seine Stimme glasschrill aus der ängstlichen Brust herausstieg, das Subh, das Morgengebet, mit den richtigen Worten undWiederholungen, deren er sich noch vom Morgen her gut bewußt war.
Man ließ ihn gewähren. Der Schulmeister zeigte ein flüchtiges Lächeln, das er gleichwohl, wie seine Stellung es heischte, mit Würde tilgte.
»Du sangst ohne Falsch«, sprach er. »Dies ist das rechtschaffene Frühgebet, wenn der gelbe Schimmer erscheint. – – Wo kommst du her?«
Daûd deutete mit dem Daumen in die Richtung. Dabei sagte er: »Naga-el-Kôm.«
»Und dein Name?«
»Daûd-ibn-Zabal.«
Die kleine Gesellschaft brach in ein Gelächter aus.
»Man lacht,« fuhr der Fiki fort, nachdem er die Lustigkeit mit einem erbosten Husten gedämpft – –, »weil du ein Dorfkind und ein Tölpel bist. Denn hier gibt es nur Söhne von Kaufleuten, die mich bezahlen. Hast du Geld?«
Daûd demonstrierte mit einer einleuchtenden Gebärde, wie es in dieser Hinsicht stand. Der Schulmeister blieb finster stehen und nagte an seiner Lippe. Dies Schweigen war schrecklich. Daûd neigte den Kopf und drehte nur seine bläulichen, schönschimmernden Augen empor, so daß er keine Regung des fürchterlichen Gewalthabers außer acht ließ. Irgend etwas schwante ihm, ein donnernder Schlag, der ihn zermalmen würde wie eine Fliege, oder eine große Gelächterschmach aus diesen fünfzehn Kehlen. Zum mindesten befand er sichschon halb auf der Flucht. Nun aber sprach der Schulmeister, und seine Stimme war mild:
»Für heute magst du bleiben; ich will sehen, ob dein Kopf die Einsicht hat und dein Gemüt guten Willens ist. Ich will
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